Weites Land der Träume
allerdings nicht auf. »Du hast heute Morgen ziemlich herumgetrödelt. Die anderen sind schon weg.« Der Toast knirschte unter ihrem Messer.
Als Alice Onkel Rays Miene bemerkte, wurde ihr klar, dass jetzt nicht der richtige Augenblick für Fragen war. Erstaunt über die ungewöhnliche Barschheit ihrer Tante, hastete Alice auf die Veranda, um ihre Schulsachen zu holen. Beim Suchen schnappte sie durch die dünnen Wände des Hauses Satzfetzen auf.
»Für ein zuverlässiges Rennpferd ist sie zu launisch, aber da sie einen guten Stammbaum hat, wollte ich sie zu Zucht-zwecken einsetzen. Rein zufällig habe ich erfahren, wo sie sich befindet, denn ich glaubte schon, sie wäre endgültig verschwunden. Ich bin eigentlich nur hergekommen, weil ich vor ein paar Wochen auf meinem Gut einen neuen Verwalter eingesetzt habe und nachsehen wollte, wie er sich macht.«
Alice hörte nur mit halbem Ohr hin, während sie nach dem Geschichtsbuch kramte, das sie heute im Unterricht brauchen würde. Doch der plötzliche zornige Ausruf ihres Onkels ließ sie auffahren.
»Kann dein Bruder denn nichts als Dummheiten machen!«,
polterte Ray unverhofft los.
»Ray, bitte!«, protestierte Tante Bea.
»Lass mich in Ruhe. Ich dachte, wir hätten das alles hinter uns, als er abgehauen ist. Und nun entpuppt sich das verdammte Pferd als gestohlen! Tja, wenn es Ihnen gehört, nehmen Sie es am besten gleich mit.«
Alice stellten sich die Nackenhaare auf, und ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie sprachen doch nicht etwa über Sherry? Zitternd spitzte sie die Ohren.
»Wie sollen wir es bloß Alice sagen?«, fragte Bea.
Alice wurde von Panik ergriffen. Sie hatte genug gehört und rannte zurück ins Haus. Aber die Männer waren bereits fort.
»Was haben Sie mit Sherry vor?«, keuchte Alice, die kreidebleich geworden war.
»Pass auf, Alice, mein Kind.« Tante Beas bebende Stimme bestätigte ihre Befürchtungen. Alice drängte sich an ihr vorbei und lief dem Fremden nach, der, das Halfter in der Hand und Onkel Ray und den Polizisten im Schlepptau, zielstrebig über den Hof und auf Sherrys Koppel zusteuerte. Neugierig wie immer kam Sherry ans Gatter.
»Lauf, Sherry, lauf!«, schrie Alice. Da sie nur Augen für das Pferd hatte, stieß sie mit Vater O’Reillys massiger Gestalt zusammen, der gerade auf seinem gefährlich schwankenden Fahrrad eintraf. Alice, das Fahrrad und der Geistliche landeten in einem Haufen auf dem Boden.
»Aber, aber, begrüßt man so einen alten Freund, kleines Fräulein?«, protestierte Vater O’Reilly mit dröhnender Stimme und dem verängstigten Mädchen stieg leichter Whiskyduft in die Nase.
»Sie wollen Sherry mitnehmen!«, keuchte Alice und versuchte, wild mit den Armen rudernd, sich von dem Fahrrad und der dunklen Soutane des Priesters, in die sie sich verheddert hatte, freizumachen.
»Und warum das, wenn ich fragen darf?«, erwiderte Vater O’Reilly, der sich inzwischen aufgerappelt hatte. Seine blauen Augen funkelten neugierig, als er sich den Staub von der Soutane klopfte und sein Fahrrad aufhob.
»Sie verstehen das nicht!«, rief Alice aus und stand ebenfalls auf. Dabei fixierte sie den Fremden mit einem Blick aus ängstlich geweiteten Augen. Der Mann hatte Sherry das Halfter übergestreift und führte die Stute aus der Koppel. Alice wollte losrennen, doch der Priester hielt sie am Arm fest. Mit Tränen in den Augen versuchte sie sich loszureißen.
»Bitte, lassen Sie mich, Herr Pfarrer! Bitte!«
»Aber, aber, kleine Alice. Man sollte nicht mit der Tür ins Haus fallen. Alles im Leben wendet sich zum Guten, wenn wir uns beruhigen und uns zivilisiert benehmen.«
»Die anderen sind doch auch nicht ruhig und zivilisiert!«, kreischte Alice. Sie riss sich los und stürmte auf den Fremden zu. Dann baute sie sich so dicht vor Sherry auf, dass sie Gefahr lief, getreten zu werden und reckte trotzig das Kinn. Das Herz klopfte ihr bis zum Halse, als sie nach dem Halfter griff.
»Sie dürfen mir Sherry nicht wegnehmen. Mir ist es egal, was alle sagen. Sie gehört mir. Mein Dad hat sie mir geschenkt«, brüllte sie.
Der Griff des Mannes um das Halfter wurde fester, und er riss den Kopf des Pferdes herum. Sein höhnisches Gelächter gellte Alice in den Ohren.
»Nun pass mal gut auf, Kleine. Dieses Pferd ist mein Eigentum, und ich bin hier, um es dorthin zu bringen, wo es hingehört, nämlich auf meine Farm. Und jetzt geh mir aus dem Weg.«
Alice biss sich auf die zitternde Unterlippe und drängte die Tränen
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