Weites wildes Land
der Cambridge Star überlebt.« Sie brachte es nicht über sich, ihre Eltern zu erwähnen, vor allem, weil sie dann in Tränen ausgebrochen wäre. Dann würde ihre zukünftige Arbeitgeberin sie nicht mehr für vernünftig und tüchtig halten. »Ich bin vollkommen mittellos an Land gespült worden und habe seitdem von Almosen anderer Menschen gelebt. Diese Lage war mir sehr unangenehm, und wenn es mir möglich ist, hier meinen Lebensunterhalt zu verdienen, möchte ich diese Stellung sehr gerne annehmen.« Sie war zufrieden mit sich, weil es ihr gelungen war, das Thema Gehalt einfließen zu lassen. Charlotte war überrascht. »Guter Gott! Also das sind Sie! Es tut mir so leid, Sibell… Jetzt, wo ich darüber nachdenke, fällt mir ein, daß Josie Cambray Sie erwähnt hat. Aber beim Umzug ist mir der Brief abhanden gekommen, und deswegen habe ich Ihren Namen vergessen. Die Cambridge Star also. Ich erinnere mich. Mein Gott, Sie haben aber Glück gehabt!« Sie erhob sich und überraschte Sibell, indem sie ihr die Hand schüttelte. »Sie haben eine Stellung, so lange Sie bei uns bleiben möchten. Mit Bezahlung«, fügte sie hinzu, denn Sibells Andeutung war ihr nicht entgangen. »Was halten Sie von fünf Pfund wöchentlich plus Kost und Logis?« Fünf Pfund in der Woche! Sibell konnte es kaum fassen. Margot hatte ihren Angestellten nur zehn Shilling in der Woche gezahlt, und dann hatte sie noch versucht, sie übers Ohr zu hauen, wo immer sie nur konnte. »Das würde mir sehr gut gefallen«, antwortete sie. »Also«, meinte Charlotte und kam zum Geschäftlichen. »Ihre Pflichten. Ich möchte, daß Sie mir bei der Buchführung und der Korrespondenz helfen, und auch bei der Arbeit im Büro, damit Sie wissen, was zu tun ist, wenn meine Augen einmal nicht mehr wollen, und ich Ihnen diktieren kann.« »Ich hoffe, daß das noch lange dauern wird«, sagte Sibell. »Ich auch. Aber schon jetzt fällt mir vieles schwer, weil ich so schlecht sehe. Bügeln zum Beispiel. Es ist verlorene Liebesmüh, das den Eingeborenenmädchen beizubringen. Sie können es noch weniger als ich. Und ich habe es satt, an den Vorhängen für das Haus herumzusticheln. Können sie nähen?« »Ja. Und ich würde Ihnen gerne dabei helfen.« »Dem Himmel sei Dank! Ich glaube, wir beide werden großartig miteinander auskommen, aber wenn Sie genug von dieser Farm haben, sagen Sie es mir. Sie sind hier keine Gefangene. Kommen Sie jetzt, ich führe Sie herum.« Eins war sicher, dachte Sibell, während sie Charlotte von Zimmer zu Zimmer folgte, alles bewunderte, ihr beipflichtete und mit ihr besprach, was noch gebraucht wurde: mit ihrer fröhlich plaudernden neuen Arbeitgeberin würde ihr sicherlich nie der Gesprächsstoff ausgehen. Sie wurde Netta vorgestellt, dem jungen schwarzen Hausmädchen, das ihr den Tee gebracht hatte. »Netta ist ein gutes Mädchen«, sagte Charlotte. »Sie macht noch viele Fehler, aber sie bemüht sich und wird es bald lernen.« Dann gingen sie in die Küche zu Sam Lim, dem chinesischen Koch, der sich höflich verbeugte. »Wenn Sie etwas brauchen«, erklärte Charlotte, »bleiben Sie in der Tür stehen und fragen Sie danach. Er läßt nur mich in die Küche und fängt an zu toben, wenn sich sonst jemand hineinwagt. Aber er ist ein guter Koch.« Zu ihrer Überraschung sah Sibell einen kleinen rothaarigen Jungen, der mit einigen schwarzen Kindern Schlagball spielte. Ein paar schwarze Mädchen umringten johlend die Spieler. »Das ist mein Enkel, Wesley«, sagte Charlotte. »Der Sohn von Maudie und Cliff. Er ist ein wunderbarer kleiner Junge. Sehr selbständig.« Sibell erkannte, daß Maudie von sich aus nichts erzählt hatte, was nicht unbedingt wichtig war, und es kam ihr der Gedanke, daß Cliffs Frau sie vielleicht nicht auf der Farm haben wollte. »Ich muß Josie Cambray schreiben und ihr für ihre Empfehlung danken«, sagte Charlotte begeistert. »Seit ich das Hotel verkauft habe, habe ich nichts mehr von mir hören lassen.« »Sie lebt nicht mehr auf der Farm«, erklärte Sibell. »Oh! Sind die Cambrays umgezogen? Wo wohnen Sie denn jetzt?« »Ich weiß es nicht«, erwiderte Sibell kurz. Offenbar hatte Charlotte noch nicht gehört, daß Josie mit einem anderen Mann durchgebrannt war, mit Logan. Sibell konnte es immer noch nicht fassen, daß Logan eine unscheinbare, ältere Frau wie Josie ihr vorgezogen hatte. Aber sie wollte nicht mehr über die beiden nachdenken. Niemals wieder.
* * *
An diesem Abend zitierte Charlotte
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