Welch langen Weg die Toten gehen
glaub, sie hatte schwarze Haare.«
»Und den Mann?«
»Nein. War zu weit weg. Schau sie mir sowieso nie so genau an, nur wenn’s nötig ist.«
Novello lächelte erneut. Diesmal wurde es erwidert. Das nicht nervöse Auge hatte sich beim Reden so weit entspannt, dass es nun ruhig stand und das halb debile Aussehen wieder hergestellt war. Eine dunkle Brille könnte helfen, dachte sich Novello. Aber wahrscheinlich achteten ihre Kunden sowieso kaum auf das Gesicht.
Sie sagte: »Danke, Jane. Du kannst dich jetzt verziehen.«
Das dünne Mädchen eilte davon.
»Hey, was ist mit mir?«, kam es von Big Maggie.
»Du? Von dir hab ich noch nichts bekommen, oder? Nun mach schon, du schreist dir doch sonst auch die Seele aus dem Leib, wenn es um die Rechte der Prostituierten geht. Du musst diese Dolores kennen. Vielleicht hat eines der Mädchen den Namen geändert, um mal was anderes auszuprobieren.«
»Hab ich doch schon gesagt, ich kenn sie nicht. Vielleicht ist sie von einer der großen Agenturen rangeschafft worden. Vielleicht auch ein Amateur, fürs Taschengeld, um ein bisschen Spaß zu haben. Du wärst überrascht, wie viele es von denen gibt. Schon mal selbst dran gedacht?«
»Ich hab meinen Spaß dran, mich um das Gesocks zu kümmern. Apropos, Lust auf eine Fahrt in die Dienststelle? Dort ist momentan einiges los, wahrscheinlich wirst du erst morgen drankommen.«
Wenn du mit Prostituierten zu tun hast, dann sprich immer kurzfristige Drohungen aus. Dass sie nächsten Monat vor Gericht kommen, hat für sie keinerlei Bedeutung. Sie leben von einem Tag auf den anderen. Wenn sie die Einnahmen der Nacht verlieren und ihren Zuhälter anarschen, das macht ihnen zu schaffen.
Das Evangelium des heiligen Andrew.
Big Maggie verstand die Botschaft. »Ich hab jemanden Donnerstagnacht gesehen«, sagte sie.
»Wen?«
»Eine Frau. Ist an mir vorbei die Avenue runtergelaufen.«
»Eine Stricherin?«
»Ganz bestimmt nicht. Kannte sie nicht, und wenn ich das Gefühl gehabt hätte, sie wollte sich reindrängen, hätte ich mit ihr ein Wörtchen geredet.«
»Wie mit mir, meinst du?«, sagte Novello. »Du hast also eine Fußgängerin gesehen. Tolle Sache.«
»Ich hab sie zweimal gesehen. Einmal, als sie an mir vorbei in diese Richtung ging, dann zehn Minuten später, da kam sie zurück.«
»Eine Fußgängerin, die ihren Hund ausführt.«
»Hat keinen Köter bei sich gehabt.«
»Dann weck endlich mein Interesse an ihr, Lady, oder wir setzen uns in Bewegung.«
»Sie war in Richtung Moscow House unterwegs, wo sich der Typ umgebracht hat.«
»Dann hast du gesehen, wie sie in die Einfahrt abgebogen ist?«
Sie zögerte und dachte wohl darüber nach, ob sie lügen sollte. »Nein. War zu neblig. Jedenfalls, für mich gab’s keinen Grund, auf sie zu achten, erst dann, als sie zurückkam.«
»Und was dann?«
»Wenn die gleiche Person zweimal kurz hintereinander an einem vorbeigeht, dann fragt man sich doch, ob sie nicht eine Kundin sein könnte, oder?«
»Eine Frau?«
Die Prostituierte zuckte mit den Schultern.
»Man hat’s mit allen Möglichen zu tun. Du wärst überrascht, wenn du’s mal probieren würdest.«
»Beschreib sie.«
Hätte die Frau nun von großen Titten und langem, schwarzem Haar gesprochen, hätte Novello alles, was sie ihr bislang mitgeteilt hatte, als unverfrorene Lüge abgeschrieben, um sich loszueisen. Doch die Erwiderung klang überzeugend.
»Groß, schlank, bewegte sich wie eine Tänzerin. Erstklassige Sachen. Hübsche Schaffelljacke mit Pelz am Kragen und an den Ärmeln.«
»Haar?«
»Konnte ich nicht sehen. Sie hatte ein Seidentuch rum. Sah auch teuer aus.«
»Alter?«
Die Frau zuckte wieder mit den Schultern.
»Dazu hätte ich sie ohne ihren ganzen Fummel sehen müssen. Kein Teenie, aber sonst könnte sie alles sein, von fünfundzwanzig bis fünfundvierzig. Wenn du die Figur und die Kohle hast, musst du das niemandem sehen lassen. Ich schätze, sie hat beides. Und das war’s. Mehr kann ich nicht sagen. Kann ich jetzt gehen?«
»Wie hat sie geklungen?«, fragte Novello.
»Eh?«
»Komm schon, Maggie. Du meinst, du könntest mit ihr ins Geschäft kommen. Du hast sie angesprochen, es ihr erleichtert, falls sie nervös sein sollte.«
»Du bist dir sicher, dass du nicht vom Fach bist?«, sagte die Frau. »Ja, ich hab sie angesprochen. Sie gefragt, ob sie Feuer hätte. Sie sagte, ›tut mir leid, ich rauche nicht‹, und ging weiter.«
»Und wie hat sie geklungen?«
»Was meinen Sie?«
»Aus
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