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Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Kinderzimmereinrichtung und, natürlich, Namen. Hier blieb Helen hart. Abergläubisch hatte sie alle Angebote ausgeschlagen, das Geschlecht der Zwillinge im Voraus bestimmen zu lassen, aber wenn eines davon ein Mädchen wäre, würde sie es Kay nennen.
    »Und es ist mir egal, was du dazu sagst«, fuhr sie fort, »sie werden dich beide Oma nennen.«
    Was Kay den Tränen so nahe brachte wie schon lange nichts mehr. Sie hatte den Kindern damals, als sie deren Vater heiratete, gesagt, dass sie sie Kay nennen sollten. Die beiden älteren hatten es dann strikt vermieden, auch nur ein höfliches Wort mit ihr zu reden, Helen jedoch war noch klein genug, um sie mit Mum ansprechen zu wollen. Weil Kay bewusst war, welche Probleme das Mädchen dadurch mit den Geschwistern bekommen würde, hatte sie sich dagegen verwehrt.
    »Ich möchte ihr eine Freundin sein«, hatte sie ihrem Mann gesagt. »Noch muss ich mich ja nicht mumifizieren lassen.«
    Aber nie hatte sie ihm gestanden, wie schwer es ihr angekommen war, dem zu widerstehen.
    Bei Oma war es etwas anderes. Hier konnte sie keinen Widerstand leisten. Und selbst wenn, zweifelte sie, ob es irgendetwas geändert hätte. Helen besaß eine manchmal überraschende Halsstarrigkeit. Wenigstens darin glich sie ihrem verstorbenen Vater.
    Also hatte sie gelächelt und das Mädchen umarmt und gesagt: »Wenn du es so willst, dann soll es so sein. Danke.«
    Es war ein schöner Augenblick. Einer von vielen, die diese Mittwochabende mit sich brachten. An diesem Abend allerdings schien es anders zu sein. Irgendwie hatte Jasons Anruf den ruhigen Fluss gestört, wegen des Nebels hatte sich dann die Pizzenanlieferung verzögert, und als sie schließlich kamen, präsentierten sie sich genau als das, was Kay als anglisiert bezeichnete: blass, lauwarm, matschig, mit nicht viel drauf.
    Und schließlich schien die Stimmung vollends einzutrüben, da Helen, die nun auf die letzten hundert Meter ihrer Schwangerschaft einbog, endlich dämmerte, dass die Geburt der Zwillinge nicht nur einen einmaligen, mit knallenden Champagnerkorken zu begießenden Triumph darstellte, sondern ihr ganzes Leben verändern würde, und zwar für immer.
    Kay versuchte unbeschwert und ermunternd zu klingen, aber die junge Frau ließ sich nicht aufheitern.
    »Jetzt weiß ich, warum ich dich nie Mum nennen durfte«, sagte sie. »Weil du dann zu meiner Gefangenen geworden wärst.«
    »Mein Gott, Helen«, rief Kay aus. »Wie kannst du nur so was Absonderliches sagen.«
    »Ich komme aus einer absonderlichen Familie«, sagte Helen. »Das sollte dir aufgefallen sein. Apropos, ob Pal mittlerweile aufgetaucht ist?«
    Als Antwort darauf war die sich öffnende Eingangstür zu hören. Kurz darauf steckte Jason den Kopf ins Zimmer. Er war Mitte zwanzig, über eins neunzig groß, blond, mit wunderbar modellierten Muskeln und einem Blick zum Hinschmachten. Er hätte für Praxiteles Modell stehen können. Oder für Leni Riefenstahl. Wenn seine und Helens Gene sich richtig miteinander verbanden, sollten die Zwillinge zu einem neuen Weltwunder werden, dachte sich Kay und lächelte ihn freundlich an.
    »Hallo, Kay«, sagte er. »Schon gut, Liebes, ich werde euch nicht stören. Irgendwas von Pal gehört?«
    »Nein, nichts. Er ist also nicht im Club aufgetaucht?«
    »Nein. Was zum Teufel soll das? Ich hoffe, es ist nichts passiert.«
    Das Telefon klingelte.
    »Geh schon ran«, sagte er, zog sich in den Flur zurück und schloss fest die Tür hinter sich.
    »Warum macht er sich solche Sorgen?«, sagte Helen irritiert. »Ist doch nicht so, dass Pal sonst so zuverlässig wäre.«
    »Oh, ich hab ihn immer für ziemlich zuverlässig gehalten«, sagte Kay hämisch.
    Sie bedauerte es sofort. Familiäre Beziehungen waren verbotenes Terrain, ebenfalls einer ihrer selbst auferlegten Grundsätze. Es wäre ihr in der Vergangenheit häufig ein Leichtes gewesen, Helen zuzustimmen, wenn sie sich bei einem ihrer aufgebrachten Monologe wieder über das Verhalten und die Meinungen ihrer Geschwister erregte, aber wie sie Tony erklärt hatte: »Letzten Endes sind sie Blutsverwandte, ich nicht, und das wird sich durch nichts ändern.« Worauf er in seiner Mafiosi-Stimme erwidert hatte: »Ja, Familienangelegenheiten. Vielleicht bleibt dir nichts anderes übrig, als sie umzulegen, aber zur Beerdigung solltest du immer einen großen Kranz schicken. So macht man das in Amerika. Eines der Dinge, die ich vermisse, wenn man so weit von zu Hause fort ist.«
    Oft dachte sie, Tony

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