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Wellenbrecher

Titel: Wellenbrecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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war auch er fassungslos über die Kluft, die sich zwischen seiner Generation und der heutigen Jugend aufgetan zu haben schien. »Direkt vor der Fähre?«
    »Nein, natürlich nicht«, entgegnete sie gereizt. »Er holt mich irgendwo ab, und dann segeln wir ein Stück.«
    »Und wo holt er Sie ab?«
    »Ach, immer woanders. Er meint, er würde gelyncht werden, wenn rauskäme, daß er mit einer Fünfzehnjährigen befreundet ist, darum wechseln wir immer den Treffpunkt, damit keiner was merkt. Ich meine, wenn man einmal in zwei Wochen irgendwo anlegt, wer erinnert sich schon daran? Ich geh auf dem Fußweg außen um den Jachthafen rum, und er saust mit seinem Schlauchboot rein und holt mich. Manchmal fahre ich auch mit dem Zug nach Poole und treffe mich dort mit ihm. Meine Mutter denkt, ich bin bei meinem Vater, und mein Vater denkt, ich bin bei meiner Mutter. Es ist ganz einfach. Ich rufe ihn über sein Handy an, und er sagt mir, wohin ich kommen soll.«
    »Haben Sie ihm heute morgen eine Nachricht auf seinem Handy hinterlassen?«
    Sie nickte. »Er kann mich nicht anrufen, sonst merkt meine Mutter womöglich was.«
    »Wie haben Sie ihn überhaupt kennengelernt?«
    »Im Jachtklub in Lymington. Da war am Valentinstag ein Fest, und mein Vater hatte Karten besorgt, weil er noch Mitglied ist, obwohl er jetzt in Poole lebt. Meine Mutter hat Fliss und mir erlaubt hinzugehen, wenn mein Vater auf uns aufpassen würde, aber er war blau wie immer und hat sich gar nicht um uns gekümmert. Da war er noch mit seiner blöden Sekretärin zusammen. Die habe ich wirklich gehaßt. Dauernd hat sie versucht, ihn gegen mich aufzuhetzen.«
    Campbell hätte am liebsten gesagt, daß das sicher nicht schwierig gewesen sei. »Hat Ihr Vater Sie mit Steven Harding bekannt gemacht? Kannte er ihn?«
    »Nein. Einer meiner Lehrer hat ihn mir vorgestellt. Er und Steve sind seit Ewigkeiten befreundet.«
    »Wer ist der Lehrer?«
    »Tony Bridges.« Ihre vollen Lippen verzogen sich zu einem boshaften Lächeln. »Er war schon lange hinter mir her und wollte sich gerade an mich ranmachen, als Steve ihm dazwischengefunkt hat. Mann, war der sauer. Das ganze Halbjahr löchert er mich schon mit Fragen, weil er unbedingt rauskriegen will, was läuft, aber Steve hat gesagt, ich soll ihm ja nichts sagen, sonst bringt er uns womöglich in Teufels Küche, weil ich ja noch minderjährig bin. Er sagt, Tony ist so eifersüchtig, daß er uns das Leben zur Hölle machen würde, wenn er könnte.«
    Campbell dachte an sein Gespräch mit Bridges am Montag abend zurück. »Vielleicht fühlt er sich für Sie verantwortlich.«
    »Darum geht’s ihm ganz bestimmt nicht«, widersprach sie verächtlich. »Er ist ein armes Würstchen - das ist der Grund. Kein Mädchen bleibt bei ihm, weil er meistens total zugekifft ist und ihn nicht hochkriegt. Er ist jetzt seit ungefähr vier Monaten mit so einer Friseuse befreundet, und Steve hat mir erzählt, daß er ihr irgendein Mittel gibt, damit sie sich nicht über die jämmerliche Vorstellung beschwert, die er im Bett gibt. Wenn Sie meine Meinung hören wollen, bei dem stimmt was nicht - in der Schule versucht er ständig, die Mädchen zu begrapschen -, aber unser blöder Direktor ist zu vernagelt, um was zu unternehmen.«
    Campbell tauschte einen Blick mit seinem Kollegen. »Woher weiß Mr. Harding, daß Tony Bridges dem Mädchen Mittel gibt?« fragte er.
    »Er hat’s gesehen. So eine Art K.-o.-Tropfen. Man löst eine Tablette in Bier auf, und das Mädchen kippt um.«
    »Wissen Sie, was für ein Mittel er benutzt?«
    Wieder ein Achselzucken. »Irgendwelche Schlaftabletten.«
     
    »Ohne einen Anwalt sage ich gar nichts mehr«, erklärte Tony Bridges mit Entschiedenheit. »Hören Sie, diese Frau war krank. Sie finden ihre kleine Tochter seltsam? Glauben Sie mir, die ist im Vergleich zu ihrer Mutter so normal wie Sie und ich.«
     
    Sandy Griffiths hörte in der Küche das Klirren splitternden Glases und hob verwundert den Kopf. Sie hatte Hannah im Wohnzimmer vor den Fernsehapparat gesetzt, und William Sumner war ihres Wissens noch immer oben in seinem Arbeitszimmer. Besorgt horchend schlich sie auf Zehenspitzen durch den Flur und wäre, als sie die Tür zum Wohnzimmer öffnete, beinahe gegen Sumner geprallt, der mit dem Rücken zu ihr im Zimmer stand. Sein Gesicht war aschfahl, als er sich zu ihr umdrehte und mit hilfloser Geste auf das kleine Mädchen wies, das zielstrebig durch das Zimmer lief, sämtliche gerahmten Fotos seiner Mutter

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