Wellenbrecher
er mit kritischem Blick auf die Schuhe der Polizeibeamten. »Die müssen Sie aber ausziehen«, sagte er. »Ich hab zwei Jahre gebraucht, um das Holz so hinzukriegen, wie es jetzt aussieht, und ich will keine Flecken darauf haben.«
Bereitwillig schlüpften die beiden Männer aus ihren Stiefeln und kletterten auf Socken den Niedergang hinunter. Unten in der Kabine hingen noch die Alkoholdünste von dem Trinkgelage des vergangenen Abends in der Luft, und selbst wenn die leere Whiskyflasche nicht auf dem Tisch gestanden hätte, hätten die Beamten mühelos erraten, warum Harding sich als »krank« bezeichnet hatte. Das flackernde Licht der einen Gaslampe ließ seine eingesunkenen Wangen noch hohler erscheinen und betonte die dunklen Bartstoppeln auf seinem Kinn, und die zerwühlte Koje verriet ihnen, daß er den größten Teil das Tages damit zugebracht hatte, einen schlimmen Kater auszuschlafen.
»Was sind das für Zusatzfragen?« Er rutschte auf eine gepolsterte Bank am Tisch und lud sie mit einer Handbewegung ein, auf der anderen Platz zu nehmen.
»Reine Routine, Mr. Harding«, antwortete Carpenter.
»Worüber?«
»Über die Ereignisse von gestern.«
Er rieb sich heftig die Lider. »Alles, was ich weiß, hab ich Ihrem Kollegen schon erzählt«, sagte er. »Und das meiste davon wußte ich sowieso nur von den beiden Jungs. Sie meinten, die Frau wäre ertrunken und am Strand angespült worden. Hatten sie recht damit?«
»Es sieht ganz so aus.«
Harding beugte sich über den Tisch. »Ich hätte nicht übel Lust, mich über diesen Beamten zu beschweren. Er war wirklich unverschämt. Er hat so getan, als hätten die Jungs und ich was damit zu tun, daß die Leiche da unten lag. Um mich selbst geht es mir dabei gar nicht mal so sehr, aber für die Jungs hat’s mich maßlos geärgert. Sie hatten Angst vor ihm. Ich meine, es ist doch bestimmt nicht lustig, eine Leiche zu finden - und sich dann von irgendeinem Idioten in Nagelstiefeln auch noch dumm anquatschen lassen zu müssen…« Er schwieg kopfschüttelnd. »Im Grunde war’s meiner Ansicht nach nichts als Eifersucht. Ich hatte mich gerade recht nett mit einer jungen Frau unterhalten, als er zurückkam, und er war offenbar wütend darüber. Ich schätze mal, er ist selber scharf auf sie, aber er hat bis jetzt nichts unternommen, weil er so eine Schlafmütze ist.«
Als weder Galbraith noch Carpenter für Ingram in die Bresche sprangen, breitete sich ein Schweigen aus, das die beiden Beamten dazu nutzten, sich interessiert in der Kabine umzusehen. Die Beleuchtung mochte zwar unter gewissen Umständen als romantisch gelten, aber für zwei Kriminalbeamte, die in diesem Raum etwas zu entdecken versuchten, was auf eine Verbindung des Bootseigners mit einem brutalen Verbrechen hingewiesen hätte, war sie völlig nutzlos. Zu viele Schatten verhüllten den Raum, und wenn es tatsächlich Anzeichen dafür gab, daß Kate und Hannah Sumner am vorangegangenen Samstag an Bord gewesen waren, so waren sie nicht zu erkennen.
»Was wollen Sie wissen?« fragte Harding plötzlich. Er beobachtete John Galbraith, und in seinen Augen glomm etwas auf - Triumph? Belustigung? -, das Galbraith zu der Vermutung veranlaßte, das lange Schweigen sei Absicht gewesen. Er hatte ihnen Gelegenheit gegeben, sich umzuschauen, und sie hatten es nur sich selbst zuzuschreiben, wenn sie enttäuscht worden waren.
»Unseres Wissens haben Sie Samstag nacht in der Salterns-Marina festgemacht und sind den größten Teil des Sonntags dort geblieben«, sagte Carpenter.
»Das stimmt, ja.«
»Wann sind Sie eingelaufen, Mr. Harding?«
»Keine Ahnung.« Harding runzelte die Stirn. »Es war ziemlich spät. Aber was interessiert Sie das überhaupt?«
»Führen Sie ein Logbuch?«
Er warf einen Blick zu seinem Kartentisch. »Wenn ich dran denke.«
»Darf ich es mir einmal ansehen?«
»Bitte.« Er angelte ein zerfleddertes Schulheft aus dem Papierwust auf der Klappe des Kartentischs. »Große Literatur ist es nicht.« Er reichte Carpenter das Heft.
Dieser las die letzten sechs Eintragungen.
9. 8. 97 10.09 Abgelegt
””” 11.32 Hurst Castle umsegelt
10. 8. 97 2.17 Salterns-Marina angelegt
10. 8. 97 18.50 Abgelegt
””” 19.28 Aus Hafen v. Poole ausgelaufen
11. 8. 97 0.12 Festgemacht, Lymington
»Na, geschwätzig sind Sie weiß Gott nicht«, murmelte er, während er zurückblätterte, um sich andere Eintragungen anzusehen. »Windstärke und Kurs kommen wohl in Ihrem Logbuch überhaupt nicht
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