Wellenbrecher
vor?«
»Selten.«
»Hat das einen Grund?«
Harding zuckte die Achseln. »Ich weiß den Kurs zu jedem Ziel an der Südküste, da brauche ich keine Erinnerung, und Windstärke ist Windstärke. Das ist ja das Schöne. Jeder Törn braucht ganz einfach seine Zeit. Wenn man so ein ungeduldiger Typ ist, dem es nur ums Ankommen geht, treibt die Segelei einen in den Wahnsinn. An einem schlechten Tag kann man für ein paar Seemeilen Stunden brauchen.«
»Hier steht, daß Sie am Sonntag morgen um zwei Uhr siebzehn in der Salterns-Marina angelegt haben«, sagte Carpenter.
»Dann war’s auch so.«
»Und hier steht außerdem, daß Sie am Samstag morgen um zehn Uhr neun in Lymington ausgelaufen sind.« Er rechnete rasch nach. »Das heißt, Sie haben sechzehn Stunden für ungefähr dreißig Seemeilen gebraucht. Das muß ein Rekord sein. Das sind nicht mal zwei Knoten pro Stunde. Ist das die Höchstgeschwindigkeit Ihres Boots?«
»Es kommt ganz auf den Wind und die Gezeiten an. An einem guten Tag schaffe ich sechs Knoten, aber der Durchschnitt dürfte ungefähr bei vier liegen. Tatsächlich bin ich am Samstag wahrscheinlich an die sechzig Seemeilen gesegelt, weil ich die meiste Zeit einen Zickzackkurs verfolgt habe.« Er gähnte. »Wie ich Ihnen schon sagte, an einem schlechten Tag kann es ewig dauern, und der Samstag war ein schlechter Tag.«
»Warum sind Sie nicht mit Motor gefahren?«
»Weil ich nicht wollte. Ich hatte es nicht eilig.« Sein Blick wurde mißtrauisch. »Was hat das alles mit der Frau am Strand zu tun?«
»Wahrscheinlich nichts«, antwortete Carpenter locker. »Wir versuchen nur, noch einige offene Fragen für unseren Bericht zu klären.« Er hielt inne und sah den jungen Mann nachdenklich an. »Ich bin früher selbst ein bißchen gesegelt«, sagte er dann, »und ich will ehrlich sein, ich glaube nicht, daß Sie sechzehn Stunden gebraucht haben, um Poole zu erreichen. Der ablandige Wind, der am späten Nachmittag aufkam, müßte Ihre Geschwindigkeit um gut zwei Knoten gesteigert haben. Ich glaube, Sie sind weitergesegelt, an der Insel Purbeck vorbei, vielleicht in der Absicht, bis nach Weymouth zu kommen, und sind erst umgedreht und nach Poole zurückgesegelt, als Sie sahen, wie spät es geworden war. Habe ich recht?«
»Nein. Ich habe vor Christchurch ein paar Stunden Pause gemacht, um ein bißchen zu angeln und ein Nickerchen zu machen. Darum habe ich so lang gebraucht.«
Carpenter glaubte ihm nicht. »Vor zwei Minuten haben Sie noch erklärt, Sie hätten einen Zickzackkurs verfolgt. Jetzt behaupten Sie, Sie hätten eine Angelpause eingelegt. Was stimmt nun?«
»Beides. Ich bin gekreuzt und hab geangelt.«
»Warum steht das nicht in Ihrem Logbuch?«
»Es war nicht wichtig.«
Carpenter nickte. »Ihre Auffassung von Zeit erscheint mir ein wenig« - er suchte nach einem passenden Wort - »individualistisch, Mr. Harding. Sie haben beispielsweise dem Polizeibeamten gestern gesagt, Sie hätten vorgehabt, zur Bucht von Lulworth zu wandern, aber Lulworth ist gut vierzig Kilometer von der Salterns-Marina entfernt, das wären also hin und zurück achtzig Kilometer gewesen. Das ist doch eine Riesenstrecke für eine zwölfstündige Wanderung, finden Sie nicht, zumal Sie dem Hafenmeister der Salterns-Marina gesagt hatten, Sie wären am Spätnachmittag zurück.«
In Hardings Augen blitzte plötzlich Erheiterung auf. »Zu Wasser sieht’s lange nicht so weit aus«, sagte er.
»Sind Sie bis nach Lulworth gekommen?«
»Von wegen!« Er lachte. »Ich war schon total ausgepumpt, als ich bei Chapman’s Pool ankam.«
»Könnte das vielleicht daran liegen, daß Sie mit sehr leichtem Gepäck reisen?«
»Ich verstehe nicht.«
»Sie hatten ein Handy bei sich, Mr. Harding, aber sonst nichts. Mit anderen Worten, Sie sind zu einer Achtzigkilometerwanderung an einem der heißesten Tage des Sommers aufgebrochen, ohne Sonnenschutzmittel, ohne zusätzliche Kleidung oder eine Mütze für den Fall eines Sonnenbrands. Denken Sie immer so wenig an Ihre Gesundheit?«
Harding machte ein betretenes Gesicht. »Schon gut, ich weiß, das war blöde. Ich geb’s zu. Das ist ja der Grund, warum ich umgekehrt bin, nachdem Ihr Kollege mit den Jungs abgefahren war. Falls es Sie interessieren sollte, ich habe für den Rückweg doppelt so lange gebraucht wie für den Hinweg, weil ich so erledigt war.«
»Also etwa vier Stunden«, meinte Galbraith.
»Eher sechs. Ich bin ziemlich genau um halb eins losgegangen und war so gegen Viertel
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