Wellenbrecher
Hemd noch Schuhe, sondern war nur mit Jeans bekleidet und ging mit leicht schwankendem Schritt in ein unaufgeräumtes Wohnzimmer voraus. Er war dünn, hatte ein spitzes Gesicht und kurzgeschorenes, gebleichtes Haar, das seinen gelblichen Teint noch fahler machte. Mit einem durchaus liebenswürdigen Lächeln bat er den Sergeant ins Zimmer, und Campbell, der den Geruch von Cannabis wahrzunehmen meinte, gewann den Eindruck, daß Besuche von der Polizei hier nichts Ungewöhnliches waren. Die Nachbarn hatten vermutlich einiges auszustehen.
Das Haus schien von zahlreichen Leuten bewohnt zu sein. Im Flur lehnten zwei Fahrräder an der Wand, auf den Sitzmöbeln und dem Boden lagen diverse Kleidungsstücke verstreut, in einer Bierkiste in einer Ecke türmte sich ein Arsenal leerer Bierdosen - von einer lange zurückliegenden Party übriggeblieben, vermutete Campbell -, und überquellende Aschenbecher verpesteten die Luft. Campbell fragte sich, wie es wohl in der Küche aussah. Wenn sie ebenso verwahrlost wie das Wohnzimmer war, gab es dort wahrscheinlich Ratten.
»Wenn die Alarmanlage an Steves Auto schon wieder losgegangen ist«, sagte Bridges, »sollten Sie besser mit den Leuten von der Werkstatt reden. Die haben das verdammte Ding eingebaut, und ich hab’s restlos satt, daß die Nachbarn deswegen jedesmal bei Ihnen anrufen, wenn er nicht hier ist. Mir ist sowieso schleierhaft, wozu er eine Alarmanlage braucht. Der Wagen ist nichts als eine Rostlaube, den stiehlt bestimmt keiner.« Er hob eine geöffnete Bierdose vom Boden auf und wies auf einen Sessel. »Setzen Sie sich. Möchten Sie ein Bier?«
»Nein danke.« Campbell setzte sich. »Es handelt sich nicht um seine Alarmanlage, Sir. Wir stellen Ermittlungen wegen eines Todesfalls an, und wir befragen rein routinemäßig alle seine Bekannten, um auszuschließen, daß er in irgendeiner Form mit dem Fall zu tun hat. Wir haben Ihren Namen von seinem Agenten bekommen.«
»Was für ein Todesfall?«
»Samstag nacht ist eine Frau ertrunken, und Mr. Harding hat uns benachrichtigt, als die Leiche gefunden wurde.«
»Ach du Scheiße! Wer war sie denn?«
»Eine Frau aus dem Ort namens Kate Sumner. Sie hat mit ihrem Mann und ihrer Tochter am Rope Walk gewohnt.«
»Heilandssocken! Im Ernst?«
»Kennen Sie sie?«
Tony trank einen Schluck von seinem Bier. »Persönlich nicht, aber ich hab von ihr gehört. Sie hat auf Steve gestanden. Er hat ihr mal geholfen, als sie mit ihrem Kind unterwegs war, und danach hat sie ihn nicht mehr in Ruhe gelassen. Es hat Steve zum Wahnsinn getrieben.«
»Wer hat Ihnen das erzählt?«
»Steve natürlich. Wer sonst?« Er schüttelte den Kopf. »Kein Wunder, daß er sich gestern abend dumm und dämlich gesoffen hat, wenn ausgerechnet er sie gefunden hat.«
»Er hat sie nicht gefunden. Er hat nur für die zwei Jungen angerufen, die sie gefunden haben.«
Bridges grübelte eine Weile schweigend vor sich hin, und die Denkarbeit fiel ihm offensichtlich schwer. Was immer er zu sich genommen hatte - Cannabis, Alkohol oder auch beides -, er hatte offenbar Mühe, sich zu konzentrieren. »Das ist doch Blödsinn«, sagte er plötzlich aggressiv und sah Campbell mit scharfem Argwohn an. »Ich weiß mit Sicherheit, daß Steve Samstag nacht überhaupt nicht in Lymington war. Ich hab ihn Freitag abend gesehen, und da hat er gesagt, daß er übers Wochenende nach Poole will. Sein Boot war Samstag und Sonntag nicht da. Er kann also gar keine Ertrunkene in Lymington gemeldet haben.«
»Sie ist nicht hier ertrunken, Sir. Sie ist an der Küste ertrunken, ungefähr dreißig Kilometer von Poole entfernt.«
»Scheiße!« Er leerte die Bierdose mit einem Zug, drückte sie zusammen und warf sie nach der Bierkiste. »Also, mich brauchen Sie gar nichts weiter zu fragen. Ich weiß nichts von dieser Ertrunkenen. Okay? Ich bin Steves Freund und nicht sein beschissener Aufpasser.«
Campbell nickte. »Natürlich. Aber vielleicht wissen Sie als Freund, ob er hier unten eine Freundin namens Bibi oder Didi hat, Mr. Bridges.«
Tony starrte ihn mißtrauisch an. »Was zum Teufel soll das?« fragte er scharf. »Von wegen Routinefragen! Was geht hier eigentlich vor?«
Der Sergeant machte ein nachdenkliches Gesicht. »Mr. Harding geht nicht ans Telefon, wir konnten deshalb nur mit seinem Agenten sprechen. Er hat uns erzählt, Mr. Harding hätte in Lymington eine Freundin namens Bibi oder Didi, und meinte, wir sollten Sie nach ihrer Adresse fragen. Ist das für Sie ein
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