Wellentänze: Roman (German Edition)
zwinkerte und hob sein Glas an die Lippen. »Auf eine erfolgreiche Saison! Lasst uns hoffen, dass ich nicht die Boote verkaufen muss, bevor sie zu Ende ist.«
»Was?« Suzy stellte ihr Lager weg. »Wovon redest du?«
»Ach, es ist nichts, wirklich«, erwiderte Ralph. »Nur ein vorübergehender Schluckauf meines überzogenen Kontos. Die Bank hat einen neuen Direktor, aber ich biege ihn mir schon zurecht. Du brauchst dir deswegen nicht den Kopf zu zerbrechen.«
Julia, die sofort vor Sorge wie gelähmt gewesen wäre, bemerkte, dass Suzys Miene sich auf der Stelle aufhellte.
»Und auf Julia, dass sie uns nicht mit einem reichen amerikanischen Fahrgast davonspaziert«, meinte Donald.
Julia warf ihm einen missbilligenden Blick zu, aber tief in ihrem Innern war sie dankbar für die Entdeckung, dass trotz allem, was Peter Strange und Oscar ihr angetan hatten, immer noch Leben in ihr steckte!
Dennoch krampfte sich ihr der Magen zusammen, als sie aufbrachen, damit Julia ihr neues Zuhause in Augenschein nehmen konnte.
»Das ist der Grand Union Canal«, erklärte Ralph, nachdem sie alle die Toiletten des Pubs genutzt hatten und über die Straßenbrücke in Richtung Werft gingen. Er sprach über den Kanal, als stellte er einen alten Freund vor. »Er führt von London bis nach Birmingham, und er ist ziemlich breit.«
»Breit? Meinen Sie das im Ernst?«, fragte Julia mit Blick auf den Wasserlauf, der unter der Brücke hindurchströmte. Sie gab sich alle Mühe, die Magie zu sehen, die für Suzy und die anderen so offensichtlich war.
»Es geht nicht um die Breite des Kanalbetts, sondern um die der Schleusen«, erläuterte Ralph. »Die Schleusen des Grand Union Canals sind breit genug, um zwei Boote wie die unseren gleichzeitig durchzulassen, also Seite an Seite. Bei schmalen Kanälen sind die Schleusen nur gut zwei Meter breit, und man muss die Boote nacheinander durchfahren lassen.«
»Ich verstehe«, behauptete Julia.
»Es tut mir leid, dass ich keine Zeit habe, um Ihnen ein bisschen mehr darüber zu erzählen, bevor Sie mit der Arbeit anfangen, aber so ist es nun mal. Für den Augenblick sind eure Sachen erst einmal im Motorboot verstaut.« Er blieb auf der Brücke stehen, um seinen stolzesten Besitz zu bewundern. »Die Pyramus ist eine Pracht, nicht wahr? John und ich haben sie früher auch im Winter für Fahrten auf den Kanälen benutzt, weil sich in der Zeit normalerweise sonst nichts tut. Es ist ein malerischer Anblick, der Nebel über dem Wasser, der Raureif auf den Bäumen ...«
»Aber bestimmt auch ziemlich ungemütlich«, bemerkte Julia, noch nicht ganz überzeugt.
»Ganz und gar nicht! Wenn der Ofen bullert und die Zentralheizung läuft, hat man es nirgendwo gemütlicher. Und jetzt ...« Ralph gab sich einen Ruck und schüttelte alle romantischen Regungen ab. »Jetzt müsst ihr die Thisbe teeren.«
»Ist das das Butty? Das Boot ohne Motor?«
Ralph nickte. »Butty ist Walisisch und heißt so viel wie ›Kumpel‹. Suzy kann Ihnen das Boot zeigen, während ich Farbe besorge.«
»Nun«, meinte Suzy, als sie mit Julia zum Trockendock ging. »Was sagen Sie dazu?«
Kapitel 4
S ie befanden sich in einem grottenartigen Schuppen mit Blechdach. Das Licht kam von etlichen Leuchtstoffröhren, die allem, was nicht ohnehin schon schwarz war, einen kränklich grünen Schein verliehen. In einer langen, sargförmigen Kammer mit Holztoren an einem Ende stand ein Holzboot, das in dieser Umgebung die Größe eines Fußballfeldes zu haben schien. Das Wasser, das über den Boden sickerte, spiegelte sich leicht unheimlich an den Steinmauern des Docks wider. Es war eiskalt und roch nach nassem Hund. Niemand, nicht einmal der eingefleischteste Romantiker, konnte in diesem Boot etwas anderes sehen als die Hölle auf Erden. Julia suchte verzweifelt nach irgendeiner positiven Bemerkung.
»›Trocken‹-Dock scheint mir irgendwie die falsche Bezeichnung zu sein«, sagte sie in dem Bemühen, optimistisch zu klingen. »Was für ein Glück, dass du mir geraten hast, Gummistiefel anzuziehen.«
»Der Rat kam von Onkel Ralph. Ich musste selbst welche kaufen.« Suzy zog sich mehrere Ringe von den Fingern und steckte sie in ihren Ausschnitt. »Schön, dass du mich nicht gleich sitzen gelassen hast! Das Trockendock ist ein richtiges Drecksloch; ich hätte dir keinen Vorwurf gemacht. Aber ich verspreche dir, bei Tageslicht, im Wasser, im Sonnenschein und mit offenen Luken ist die Thisbe wirklich schön.«
Julia versuchte, ihre Fantasie
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