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Wellentraum

Wellentraum

Titel: Wellentraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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dazwischen. »Oder hast du Angst, dass die Tür seinen hübschen Hintern nach draußen katapultieren wird?«
    Caleb sah zu Maggie, deren Wangen vom Dampf gerötet waren – oder wurde sie etwa rot? »Vorsicht, Bürgermeisterin. Das ist sexuelle Belästigung.«
    »Ha. Machen Sie sich bloß keine Hoffnungen.«
    Guter Tipp. Aber …
schöne Augen?
    »Ich sage es, wie ich es sehe.«
    Er lächelte, als er den Müll zur Hintertür hinaustrug.
    Möwen kreisten kreischend über der Gasse, als ob der Müllcontainer ein Fischerboot wäre, das gerade gesäubert wurde. Caleb warf den Müllbeutel hinein, was ein Protestgeschrei der Vögel zur Folge hatte sowie eine plötzliche Bewegung am Rand seines Gesichtsfeldes.
    Heckenschütze.
    Seine Hand fuhr an die Waffe.
    Hurensohn.
    Er nahm sich zusammen. Sein Verstand trotzte seinen Instinkten die Kontrolle ab. Kein Heckenschütze. Nur eine Ratte oder ein Waschbär auf der Suche nach Abfällen. Oder der Kater. Wie hieß er doch gleich – Hercules.
    Caleb schüttelte angewidert den Kopf. Ja, das fehlte noch, um seine Glaubwürdigkeit vollends zu untergraben – dabei erwischt zu werden, wie er das ganze Magazin auf die Restaurantkatze abfeuerte.
    Trotzdem: Etwas stimmte nicht. Er spürte es. Wie den Puls seines Blutes oder seinen Atem. Es war ein Instinkt, den er in anderen Eingängen, anderen Gassen eine halbe Welt entfernt geschärft hatte. Er hörte ein Kratzen und erspähte das Aufflackern eines Schattens, der um die Ecke huschte.
    Keine Ratte, keine Ratte, keine Ratte,
dröhnte sein Pulsschlag.
    Die Waffe schussbereit am Oberschenkel, drückte er sich an die Wand des Gebäudes. Er warf einen raschen Blick um die Ecke, um die Lage zu peilen.
    Und sah sich dem übernächtigten, verhärmten Gesicht seines Vaters gegenüber.
    Verwirrung raubte Caleb den Atem. Jeden Gedanken. »Dad?«
    Bart Hunter blinzelte und streckte den Kopf wie eine alte Meeresschildkröte vor.
    Mist. Calebs Angst wurde zu Wut. »Was zum Teufel treibst du hier? Ich hätte dich fast erschossen.«
    »Ich hab mir den Tag freigenommen«, erwiderte sein Vater. »Dazu bin ich doch wohl berechtigt, oder? Ein Mann ist nach vierzig verfluchten Jahren auf einem Boot doch wohl dazu berechtigt, sich einen Tag freizunehmen.«
    »Berechtigt, wunderbar.« Caleb spie die Worte aus. »Was machst du hier?«
    Bart senkte den Blick. »Ich wollte dein Mädchen sehen. Maggie.«
    Maggie.
    Calebs gefror das Blut. »Warum?«
    Bart richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Mit seinen dreiundsechzig Jahren war er noch immer groß, schlank und wettergegerbt wie ein Spantholz. Zäh genug, um Tag für Tag, Jahr für Jahr hinauszufahren, trotz Kater und Nebel. Kräftig genug, um Netze auszuwerfen und den Fang einzuholen.
    Stark genug, um eine Selkie zu überwältigen?
Calebs Hände ballten sich zu Fäusten.
    »Seit wann bin ich dir Rechenschaft schuldig?«, polterte Bart.
    Aber Caleb hatte die Jahre der Lügen und Ausflüchte hinter sich. »Was hast du mit dem Seehundfell angestellt?«
    Barts Mund öffnete sich. Schloss sich. Öffnete sich wieder. »Wie hast du das herausgefunden?«
    Zorn stieg in Caleb auf. »Wo ist es?«
    Sein Vater musste die Gewaltbereitschaft in seinen Augen gesehen haben, denn er stammelte: »Ich weiß nicht. Sie hat es gefunden. Deine Mutter. Sie hat es genommen. Ich habe sie nie wiedergesehen.«
    Calebs Fäuste lockerten sich. »Meine Mutter hat es gefunden.«
    »Ja. Deshalb hat sie uns verlassen.«
    »Und du weißt nichts von einem anderen Seehundfell.«
    »Nein.«
    »Was zum Henker machst du dann hier?«, brüllte Caleb.
    Die Möwen in der Gasse flatterten mit den Flügeln, aufgescheucht von ihrem Mahl auf dem Müllcontainer. Der Gestank von Müll – Bratenfett und Bier und Zigaretten, verdorbenes Fleisch und verrottendes Gemüse – zog die Gasse hinab und legte sich wie ein Ölfilm über den frischen Geruch des Meers.
    »Ich wollte nachsehen, ob es Maggie gutgeht«, murmelte Bart.
    Caleb schüttelte ungläubig den Kopf. »Deshalb hast du beschlossen, hier draußen herumzuschleichen, bis sie die Abfälle herausbringt.«
    »Ich habe
ihn
gesehen«, wandte Bart ein. »Und da bin ich stehen geblieben.«
    »Wen gesehen?«, fragte Caleb scharf. »Wo?«
    Sein Vater antwortete mit einer Kopfbewegung.
Da drüben.
    In einem schmalen Durchlass zwischen den Ladengeschäften, geschützt vor dem Wind und den Möwen, kauerte wie einer der Obdachlosen aus Portland ein Mann zwischen Klumpen aus Seegras und durchweichten

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