Weller
betreffenden Herrn gleich dort drüben und Sie sagen mir hinterher, ob Sie ihn schon einmal gesehen haben.« Dabei hatte er mir jovial zugezwinkert. »Immerhin sind wir ja fast so etwas wie Kollegen – Sie als Justiz-angestellter. Mir fehlen, bei unserem Krankenstand, schlicht die Leute für das klassische Gegenüberstellungsszenario«, hatte er achselzuckend hinterhergeschoben.
Drüben öffnete sich die Tür und Luckow begleitete einen früh gealterten Mittvierziger im rot-schwarzen Holzfällerhemd und mit Kinnbart an den Tisch in der Raummitte. Kraus’ Halbglatze spiegelte im Licht der Neonröhre, seine klobigen Hände legte er flach auf die Tischplatte. Luckow setzte sich ihm gegenüber, startete das Aufnahmegerät und sprach Datum, Namen der Anwesenden und Anlass der Vernehmung in das zwischen ihnen stehende Mikrofon. Wir hörten seine Stimme so deutlich, als säße er bei uns.
»Herr Kraus, lassen Sie uns noch einmal auf diesen Datenträger zurückkommen.« Luckow hielt den Silberling in einer Plastikhülle vor Kraus’ Gesicht. »Sind die darauf befindlichen Fotos von Ihnen gemacht worden?«
»Das hatten wir doch alles schon.« Kraus’ Stimme war erstaunlich hell für einen so großen, vierschrötigen Mann. »Ich war das nicht.« Er verschränkte die Arme vor der Brust.
Ich blickte zu Ellen, die sich nach vorn beugte, als könne sie so noch besser sehen, mit zusammengekniffenen Augen Kraus beobachtete und sich dabei auf die Unterlippe biss. Ich wünschte mir, sie würde ihn erkennen, sich erinnern, ihn in unserem Wohnviertel herumlungern gesehen zu haben, ihn damit vom Leugnen abbringen und seine Überführung beschleunigen. Doch ich konnte aus ihrer Haltung nicht schließen, ob dem so war. Kraus begann zu jammern.
»Was wollen Sie von mir? Ich hab nichts getan. Das Ding«, er deutete mit seinem wulstigen Zeigefinger auf das Beweismittel, »das hab ich gefunden. Ja, Mann, auch wenn du mir das nicht glaubst.« Luckow überging das Du.
»Na, dann verraten Sie uns vielleicht auch, wo genau und wann Sie die CD gefunden haben.«
Ich stupste Ellen, die unverändert auf das Geschehen im Nebenraum starrte, an.
»Erkennst du ihn?«
Sie setzte sich gerade hin und zog ihren Tabak aus der Jackentasche.
»Fehlanzeige. Der ist mir noch nie begegnet; weder vor kurzem noch früher.« Wir widmeten uns wieder dem Geschehen auf der anderen Spiegelseite.
»Okay, wenn’s sein muss. Also noch mal der ganze Schmus.« Kraus lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und legte dabei zwei große dunkle Schweißflecken frei. »Das Ding steckte in so einem Automaten, mit dem man Fotos entwickeln kann.« Als erkläre dies alles, verstummte er und grinste zufrieden.
»Wo genau?«
»Im Drogeriemarkt im Burgwallcenter. Da kaufe ich immer meinen Duschkram und so. Na, und vor ein paar Wochen – keine Ahnung, an welchem Tag genau – sehe ich zufällig, wie da so ein Silberling steckt.« Er blickte den Polizisten mit einem Dackelblick an. Der knurrte nur: »Weiter.«
»Ich war neugierig und hab das Scheibchen eingesteckt. So einfach ist das. Mit was anderem hab ich nichts zu tun.«
Luckow versuchte noch weitere Details aus ihm herauszukitzeln, einen Zusammenhang zum Mordfall herzustellen – doch Burkhard Kraus blieb stur bei seiner Aussage. Bisher lag also – nach dem Prinzip ›Im Zweifel für den Angeklagten‹ – nichts weiter gegen ihn vor als die Unterschlagung der Fundsache. Karsten Luckow und seinen Kollegen stand noch ein Batzen Ermittlungsarbeit bevor.
Bevor ich zurück in meine Dienststelle fuhr, kehrten Ellen und ich auf einen Kaffee und ein Stück Belohnungstorte ins wunderbar altmodische Café Prag gegenüber des Schweriner Schlosses ein. Dort ließen wir, umtost vom Geschnatter der Touristen und der Verwaltungsbeamten in der Mittagspause, das eben Erlebte Revue passieren.
Die Aussage von Kraus hatte nicht die erhoffte Klarheit gebracht; er blieb weiterhin verdächtig, die Fotos geschossen, wenn nicht sogar die Studentin getötet zu haben. Luckow hatte uns natürlich nicht in den Ermittlungsstand eingeweiht, doch aus seiner Vernehmungstaktik sprach deutlich die Unkenntnis über weitere Zusammenhänge zwischen Kraus und der Toten. Wenn der Vernommene die Wahrheit gesagt hatte, dann konnte jeder der Täter sein, jeder diese voyeuristischen Fotos gemacht und den Datenträger in diesem Selbstbedienungsautomaten vergessen oder vielleicht sogar absichtlich deponiert haben.
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