Weller
Szene inklusive ihres schrecklichen Abschlusses Vergnügen bereitet?
Ellen hockte mit Jara, deren Mann Christian und drei anderen Künstlerkolleginnen um einen der Tische im niedrigen Gewölbe. Ich ging zu ihr, küsste sie auf den Scheitel und sie griff nach meiner Hand, um sie wortlos festzuhalten. Allein diese Geste stabilisierte meine Geistesverfassung und ich stellte mich an den Tresen, um zu bestellen. Schon bald würde der Vorfall verblassen wie ein beliebiger Verkehrsunfall, den man im Vorbeifahren aus dem eigenen Auto heraus wahrnimmt, aber in keiner Weise betroffen ist, da schon Helfer vor Ort sind, man sich also nicht genötigt fühlt, anzuhalten, um seine uralten Erste-Hilfe-Kenntnisse hervorzukramen. Ich spendierte Ellen und ihren Tischgenossen eine Runde Whisky und wurde mit Hallo in den Kreis aufgenommen. In der nächsten halben Stunde mäanderte das Gespräch zwischen den neuesten Skandälchen aus dem Künstlerbund, dem geplanten Islandaufenthalt von Jara und Christian und einem Thema, dem ich nicht ganz folgen konnte: ob man als Frau – Christian und ich waren die einzigen Männer am Tisch – in jedem Fall die Geburt des eigenen Kindes als ein beglückendes Erlebnis empfinden müsse. Ellen war bewusst kinderlos geblieben und ich – als Vater eines inzwischen erwachsenen Sohnes – konnte da auch nicht wirklich mitreden. Wir sahen uns an und Ellen neigte sich zu mir. Ihr Kuss schmeckte nach Rauch und nach ihrem ganz eigenen, mich immer wieder betörenden Geruch.
»Lass uns bald abhauen«, raunte ich ihr zu.
Es dauerte dann doch noch eine ganze Weile, bis wir uns verabschiedeten. Christian hatte eine weitere Runde ausgegeben und ich war froh, dass Ellen verzichtet hatte, um fahrtüchtig zu bleiben. Wir stiegen im Dunkeln die gepflasterten Stufen vom Nebenausgang der Schlossklause zum Vorplatz hinauf, als eine große schlanke Gestalt unter den hängenden Ästen des großen Walnussbaums hervortrat. Im Licht des fast vollen Mondes erkannte ich die amerikanische Stipendiatin.
»Hi, folks.« Sie schwenkte eine Bierflasche in unsere Richtung und schien nicht mehr nüchtern – sofern ich das in meinem eigenen angesäuselten Zustand beurteilen konnte. Ich starrte auf ihre Beine. Waren das Blutflecken auf ihrer Jeans?
»Hallo Connor.« Mir fehlten die Worte für das, was wir vorhin gemeinsam erlebt hatten und an das ich mich am liebsten gar nicht mehr erinnert hätte. Auch wollte ich ihr seltsamerweise auf keinen Fall Ellen vorstellen. »Bis bald einmal.« Ich schritt schnell die restlichen Stufen empor, hoffte, dass Ellen mir umstandslos folgen würde. Wir waren schon auf dem Schlossvorplatz angelangt, als wir das durchdringend-schrille Lachen der Amerikanerin vernahmen, gefolgt vom Zersplittern ihrer Flasche.
***
»Sie und die Tote sind bisher die einzigen, die wir anhand der Fotos identifizieren konnten.« Kriminalhauptkommissar Karsten Luckow sah aus wie ein blonder Sunnyboy, Typ Bademeister. Charme oder Feinfühligkeit waren seine Sache jedoch nicht.
Ellen war zusammengezuckt, warf mir einen erschreckten Blick zu. Sie sollte heute Burkhard Kraus, dem CD-Besitzer, gegenübergestellt werden, der noch immer abstritt, der Fotograf zu sein, und hatte mich gebeten, sie zu begleiten.
»Deshalb schauen Sie sich den Mann gleich genau an. Möglicherweise haben Sie ihn schon einmal gesehen.« Es war wie im Fernsehkrimi. In der Längswand des Büros, in dem wir auf Besucherstühlen vor Luckows Schweriner Schreibtisch saßen, war ein riesiger Einwegspiegel eingelassen, durch den wir in einen fensterlosen Verhörraum blicken konnten. Ellen nickte tapfer. Luckow hatte sie vorhin die Fotos von der CD-ROM ansehen lassen. Und obwohl sie die ja schon kannte – das hatten wir natürlich nicht zugegeben – war sie blass um die Nase geworden. Hier im Schweriner Polizeipräsidium wirkten die fremden Frauen noch viel stärker als Opfer eines Verbrechers. Der Kommissar verließ den Raum und ich legte meine Rechte auf Ellens im Schoß gefalteten, kalten Hände. Ich selbst kannte Burkhard Kraus nicht; er war strafrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten, zumindest nicht von der hiesigen Bewährungshilfe betreut worden. Luckow hatte gemeint, er wolle allen Beteiligten die Arbeit erleichtern, indem er uns keine ganze Reihe von Männern, bestehend aus herbeigerufenen Kollegen und Kraus, hinter der Scheibe präsentierte.
»Wir machen das heute mal ganz informell«, hatte er angekündigt. »Ich befrage den
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