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Weller

Weller

Titel: Weller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit
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An der Tür drehte sie sich zu mir um. »Oder kannst du kein Blut sehen?«
    Wenig später standen wir mit dem hemmungslos weinenden Hundebesitzer, der mir irgendwie bekannt vorkam, und vier weiteren Männern, die sich nicht, wie die anderen Ausstellungsbesucher, erschrocken und beklommen ins Schloss zurückgezogen hatten, im Kreis um das offenbar verendende Tier. Ein Collie, er fiepte nur noch leise, lag auf der Seite, hatte wohl keine Kraft mehr, sich zu bewegen. Sein langes, einst helles Fell war verklumpt und schmutzig, die Augen blutunterlaufen. Erst jetzt sah ich, dass der Unterschenkel des verletzten Beines fehlte und sich auf dem blutigen Stumpf weiße Maden tummelten. Der Wind trieb einen dumpfen Geruch nach Fäulnis und Verwesung in meine Nase.
    »Er wird in eine Falle geraten sein«, vermutete ein Anzugträger neben mir. »Dann hat er sich losgerissen oder sich vielleicht sogar selbst das Bein durchbissen, um frei zu kommen. Schauderhaft.«
    »Mein Gott, und dann schleppt er sich mit letzter Kraft hierher, um zu sterben.« Jetzt erkannte ich auch den Hundebesitzer. Jara hatte ihn uns einmal vorgestellt. Er lebte in der Nähe des kleinen Bahnhofs von Plüschow auf einem einsamen Gehöft und besuchte die meisten Veranstaltungen im Schloss.
    »Seit drei Tagen war er verschwunden. Und jetzt hat er mich hier gefunden.« Seine Stimme klang hohl. Er hockte im Schneidersitz auf dem Boden neben seinem Hund, streichelte mechanisch über dessen Kopf. »Diese Schweine, die solche Fallen aufstellen. Die sollte man erschießen.«
    Wir pflichteten ihm murmelnd bei, wobei ich – Berufskrankheit – einen Sekundenbruchteil über die Unverhältnismäßigkeit von Vergehen und im Affekt geforderter Strafe stutzte. Nicht auszudenken, wenn zum Beispiel ein Kind in eine solche Wildfalle geriete. Ich schaute mich um. Zum Glück war Ellen anscheinend nicht auf diese Tragödie aufmerksam geworden. Das wollte ich ihr gern ersparen. Der Collie begann nun wieder, sich qualvoll langsam zu seinem verletzten Hinterlauf umzudrehen, jaulte leise. Sein Maul klaffte auf, ich sah die spitzen Zähne, das fahle Zahnfleisch. Die Sekunden dehnten sich zu Minuten. Sein Besitzer schien wie paralysiert, stand offensichtlich unter Schock. Das geballte Leid von Mensch und Tier hielt uns im kollektiven Würgegriff. Wahrscheinlich hofften alle Umstehenden, dass dies Leiden schnell ein Ende fände. Connor jedoch handelte. Sie brachte den Hundebesitzer mit ein paar bestimmten Worten dazu, das Tier zusammen mit ihr hinter das Haus und außer Sicht zu tragen. Mir war völlig klar, dass ich selbst in keiner Weise hilfreich sein würde – mochte ich doch noch nicht einmal Quax zum Tierarzt begleiten, wenn es Not tat. Bekümmert lenkte ich meine Schritte zum Eingang des Schlosses. Auch die anderen anwesenden Männer schienen erleichtert, nicht eingreifen zu müssen. Schweigend erklommen wir die Stufen, um uns wieder unter die Ausstellungsgäste zu mischen. Ich wollte Ellen suchen, mich in ihrer Nähe beruhigen, ein entspanntes Gespräch über irgendein Thema beginnen, leise ihre Hand drücken und ihre Lebendigkeit spüren. Doch wie an unsichtbaren Schnüren gezogen, lenkte ich meine Schritte von der Eingangshalle auf die Rückseite des Hauses zu und dort auf die holzverkleidete Veranda hinaus, von der aus man einen Großteil des Schlossgartens überblickte. Die Sonne war bereits untergegangen, doch sah ich in der Dämmerung nur zu genau, wie der zweite Teil des Dramas seinen Lauf nahm. Keine hundert Meter entfernt, unter den hohen Bäumen links neben dem Gatter, das den Schafsstall umgab, spielte sich eine alptraumhafte Szene ab. Ich kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können und hätte doch lieber nie gesehen, was dort passierte. Zwei Gestalten, ein Tierkörper. Der Mann starr, unbewegt, wie eingefroren. Die große, androgyne Frau, die mit einem Knüppel, den sie mit beiden Händen hielt, ausholte. Das kakophonische Heulen des sterbenden Tieres; die letzte Lebensäußerung aus der Hundekehle, die bis zu mir heraufdrang und mir in Mark und Bein fuhr. Ich wandte mich schaudernd ab, machte mich auf den Weg hinunter in die   Schlossklause , um mir einen oder zwei der gut abgelagerten Whiskys zu genehmigen, für die die Klause bekannt war. Vermutlich würde ich dort auch Ellen antreffen. Meine Knie waren wie aus Pudding, als ich die schmale Stiege zum Untergeschoss nahm. Warum nur hatte ich eben den Eindruck gewonnen, der Amerikanerin hätte die ganze

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