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Weller

Weller

Titel: Weller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit
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Doch war das wahrscheinlich?
    Ich erzählte Ellen von den Bildern dieser Connor aus Wisconsin und meiner Idee, sie könne die Urheberin der Fotos auf der CD sein.
    »Also Weller, jetzt geht aber deine Fantasie mit dir durch.« Ellen schüttelte den Kopf und pustete in ihren zu heißen Milchkaffee. Von der Theorie, die Fotos auf der CD stammten von einer Künstlerkollegin, war sie nicht zu überzeugen. »Ich bin zwar Bildhauerin, aber im Studium habe ich immerhin so viel über Fotografie und Bildaufbau gelernt, dass ich es beurteilen kann, ob da ein Künstler oder nur ein laienhafter Spanner am Auslöser war.«
    Im Stillen nahm ich mir dennoch vor, ein weiteres Mal nach Plüschow zu fahren und der Amerikanerin auf den Zahn zu fühlen. Irgendwie hatte sie mich fasziniert, ging doch ein mutwilliger und latent aggressiver Wahnwitz von ihr aus. Natürlich konnte das alles nur Attitüde sein, aufgesetzte Kauzigkeit um dem landläufigen Bild von einem Künstler zu entsprechen. Aber vielleicht auch nicht. Ich konnte nicht vergessen, mit welcher Kaltblütigkeit sie den sterbenden Hund erschlagen hatte.
    Und dann – wir spazierten am Schweriner Schloss mit seinem etwas zu prunkvollen Golddächern vorbei zum Parkplatz, auf dem unser Auto stand – fiel es mir plötzlich ein. Das, was nach dem Grillabend bei den Holters im Hintergrund meines Bewusstseins gelauert hatte, diese Erkenntnis, die irgendetwas mit dem Thema Boule zu tun hatte, die mir bis jetzt aber nicht hatte einfallen wollen.
    Wolfgang Zorn, von dem ich seit einer guten Woche nichts mehr gehört hatte – worüber ich nicht unbedingt traurig war, machte mich seine Notlage doch weitgehend hilflos –, hatte nicht nur die tote Studentin persönlich gekannt und war selbst ein ambitionierter und meines Erachtens talentierter Hobbyfotograf. Nein, er hatte sich vor einigen Wochen, als wir uns beim Boule trafen und Ellen mich begleitet hatte, geradezu auffällig für sie interessiert. Ich war es gewohnt, dass sie – als große, attraktive Frau – die Aufmerksamkeit von Männern auf sich zog und hatte mir nichts dabei gedacht. Höchstens, dass es ein wenig unverschämt war, wenn einer meiner Klienten in meinem Beisein mit meiner Frau flirtete. Denn es hatte tatsächlich etwas unbeholfen Flirtendes an sich gehabt, wie er Ellen umgarnt, sie plump vertraulich zu überreden versucht hatte, damit sie vor seiner Kamera posierte. Sie hatte sich lachend aus der Affäre gezogen und jetzt fiel mir auch wieder der Blick ein, mit dem Zorn diese Absage quittiert hatte: der waidwunde Ausdruck eines zu Tode Verletzten. Nun fügte sich dieses scheinbar unwichtige Mosaikstück zum Gesamtbild. Misstrauen wuchs in mir wie eine dieser winzigen Kunstblumen, die aus einer Muschel ranken, wenn man diese in ein Glas mit Wasser fallen lässt. Schnell, unverhofft, erdrückend hässlich.
    Was, wenn Zorn doch der unbekannte Fotograf war? Natürlich hatte er Bedürfnisse; er hatte keine Freundin, soweit ich wusste und war im Umgang mit anderen zurückhaltend, fast schüchtern. Konnte es tatsächlich sein? Oder war ich paranoid, sah aus Sorge um Ellen Gespenster?
    ***

»Du kannst dir das gar nicht vorstellen, wie das ist. Ich hätte nie geglaubt, dass ich mich einmal fast nach meiner Zelle zurücksehnen würde.« Zorn kibbelte auf seinem Stuhl wie ein zu alter Berufsschüler. Seine Hände zitterten, seine hageren Gesichtszüge waren eingefallener denn je. Ich blieb ungerührt. Ein Teil von mir konnte nachvollziehen, wie schlecht es ihm unter den gegebenen Umständen gehen musste. Ein anderer, weitaus größerer Teil von mir misstraute jedoch seinen Unschuldsbeteuerungen, warf in die Waagschale, was Zorn belastete: seine gegenüber der Polizei und auch mir zunächst verschwiegene Bekanntschaft mit dem Mordopfer, sein fehlendes Alibi für die Tatzeit, sein Hobby – die Fotografie, sein unverhohlenes, wohl nicht nur fotografisches Interesse an Ellen. Mir war allein seine Anwesenheit hier, in meinem zu engen Büro, unangenehm. Ich versuchte, professionell zu bleiben und so etwas wie eine neutrale Haltung zu ihm einzunehmen. Zorn fummelte in der Tasche seiner Jacke, hielt mir einen zusammengefalteten Zeitungsausschnitt hin.
    ›Montagsdemos gehen weiter. Wird die Sorge der Bürger ernst genug genommen?‹ Neben einem Foto der demonstrierenden Menge – natürlich war auch die Deutsch-Kurzhaarfraktion wieder mit dabei – der übliche weichgespülte Artikelsermon, gespickt mit den Aussagen der braven

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