Weller
seelischen Gleichklang zwischen uns – auch wenn wir über manche Frage durchaus konträre Meinungen hatten. Ich durfte gar nicht daran denken, dass sie mir einmal genommen werden könnte. Doch das war leichter gesagt, als getan, wenn einen schon in der Morgenzeitung die Erinnerung an den irren Spanner ansprang.
***
»Weller, Bewährungshilfe Wismar.«
»Luckow. Tag, Herr Weller. Wir müssen uns noch einmal über Wolfgang Zorn unterhalten.«
Tausend Ideen wirbelten mir durch den Kopf. Hatten sie endlich genügend Beweise gegen ihn? Nein, dann bräuchten sie mich sicherlich nicht. Sie benötigten nur noch den einen, entscheidenden Hinweis von mir. Blödsinn, welchen denn? Sie hatten ihn vielleicht bereits festgenommen. Sollte ich lediglich irgendein Detail bestätigen?
Wir verabredeten uns in der Wismarer Polizeiinspektion, wo Luckow an diesem Tag Verschiedenes zu tun hatte. Ich schnappte mir mein Fahrrad, zog die Regenjacke über, denn es tröpfelte schon den ganzen Tag lang immer mal wieder, und durchquerte die Altstadt auf gerader Strecke über die Lübsche Straße. Dort wo sie in die Fußgängerzone Hinter dem Rathaus überging, stieg ich ab. Trotz des wenig sommerlichen Wetters flanierten hier viele Menschen, stöberten in den Auslagen der Geschäfte oder standen plaudernd zusammen. Aus der Apotheke gegenüber dem Karstadt-Haus trat gerade die Galeristin, die in ihren Räumen an der Schweinsbrücke nicht nur junge Kunst präsentierte, sondern regelmäßig auch Musik und Literatur eine Bühne gab.
»Moin, Weller.«
»Tach, Kris.«
Wir tauschten im Schnelldurchgang den neuesten Stadtklatsch aus. Wer schwanger, wer pleite war. Wer volltrunken die letzte Vorstellung der Lesebühne bei ihr in der Galerie gestört hatte.
»Wann kommt ihr beide mal wieder? Nächsten Sonntag ist wieder Lesebühne. Den Freitag darauf Vernissage. Ein junger Wismarer Künstler, der an der Hochschule studiert und mit Holz und Abfall arbeitet. Das dürfte besonders Ellen interessieren. Grüß sie von mir.« Sie klappte sich die große, am heutigen Tag ziemlich überflüssige Sonnenbrille vor die Augen, winkte zum Abschied und auch ich setzte meinen Weg fort.
Ellen und ich sollten vielleicht tatsächlich mal wieder gemeinsam eine Veranstaltung besuchen, überlegte ich. Das brächte uns auf andere Gedanken und es würde unserem noch immer untergründig angespannten Verhältnis guttun, mit anderen Menschen zusammenzutreffen. Denn ich meinte, mikroskopisch feine Risse in unserer Beziehung zu spüren. Warum war ich so erleichtert wie ein Verdurstender, der einen Brunnen erspäht, wenn Ellen und ich nach einem trockenen ›An wen auch sonst‹ schallend über die stümperhafte Zeitungsschlagzeile Bauernchef gibt Staffelstab an Nachfolger weiter lachten oder uns über die Weigerung der Kreistagsabgeordneten amüsierten, ihre Sitzungen live im Internet übertragen zu lassen, indem wir deren Argumente, mit verteilten Rollen, ins Absurde ausbauten. Wir hatten Spaß miteinander; eine Alltäglichkeit, die ich bis vor wenigen Wochen als selbstverständlich aufgefasst, ja kaum bemerkt hätte. Nun kamen mir solche gemeinsamen Heiterkeitsausbrüche wie ein seltenes, schützenswertes Gut vor, weil mir auffiel, wie selten wir noch gemeinsam lachten. Umsonst der Versuch, es damit zu erklären, dass wir auch nicht mehr so viel miteinander sprachen wie zu Beginn unserer Partnerschaft, nach sechs Jahren einfach ein wenig Routine in unser Zusammenleben eingekehrt war. Denn die gewonnene Vertrautheit zwischen uns war kein seichtes Ruhekissen mehr, schien mir mit einem Mal wie innerlich abgestorben. Ganz so, als erzwänge die diffuse Bedrohung von außen, der wir uns ausgesetzt sahen, eine Art Verhärtung, eine Erstarrung auf der Ebene der alltäglichen Rituale unseres Zusammenlebens, als erodiere all das Leichte, Weiche, Wortlose zu einem, die Zähne zusammenbeißenden ›Natürlich lieben wir uns‹. Diese Entwicklung ängstigte mich, ließ mein Blut gefrieren. Zweifel durchdrangen meinen Organismus mehr und mehr, wucherten wie eine Krankheit. Vielleicht war ich wirklich krank, litt unter dem berühmten Burnout, der nicht nur meine professionellen Fähigkeiten absterben ließ, sondern auch meine Ehe vergiftete. Jedenfalls bestand unsere Gemeinsamkeit scheinbar fast ausschließlich aus Sorge, Angst, Unsicherheit und grimmiger Ernsthaftigkeit. Kaum ein Lachen, Scherz, oder eine Albernheit entspannte unsere Situation. Der Same der Zwietracht war
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