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Weller

Weller

Titel: Weller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit
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Zorn. An einem so verschlossenen Unsympathen, der auf cooler Hund machte, fanden vermutlich nur wenige Frauen Gefallen. An seinem Ringfinger steckte allerdings ein goldener Ring. Also hatte offenbar zumindest eine entweder seine raue Schale geknackt oder war nun ähnlich unglücklich mit ihrem Ehemann, wie Zorn es gewesen sein musste, als die Studentin ihn abwies.
    »Aber das war’s dann auch schon.« Luckow warf den Stift auf die Akte. »Natürlich haben wir die am Tatort aufgefundenen DNA-Spuren mit der DNA-Analysedatei des BKA verglichen. Dabei haben wir jedoch weder übereinstimmende Spuren gefunden noch im Falle Wolfgang Zorns einen Treffer erzielt. Doch die Technik ist ja nicht unfehlbar und solange wir keinen anderen konkreten Tatverdächtigen haben, halten wir uns an Zorn. Sind Sie, Herr Weller, in der Lage, mir ein kurzes Bild von Zorn zu vermitteln? Insbesondere wäre für uns wichtig, welchen Eindruck er rund um den Tatzeitpunkt auf Sie machte. Haben Sie in dieser Zeit irgendeine Veränderung bei ihm beobachtet?« Er lehnte sich zurück und ich überlegte, was ich antworten sollte. In mir tobte ein Gedankenchaos. Natürlich konnte ich mich auf meine Schweigepflicht berufen. Nur hatte ich ja überhaupt nichts zu verschweigen. Mir gegenüber hatte Zorn ebenso wenig über seine Schwärmerei für die Studentin, ja nicht einmal über seine Bekanntschaft mit ihr gesprochen wie bei der ersten Vernehmung durch die Kripobeamten. Ich versuchte, mich zu erinnern. Der Mord war am 30. April geschehen. In der Zeit davor hatte ich Zorn verabredungsgemäß jeweils zu den 14-tägigen Einzelterminen und zum Anti-Gewaltraining gesehen und nichts Auffälliges an ihm bemerkt. Nun, im Nachhinein, war es natürlich seltsam, dass er mir nichts von seiner Teilnahme an besagtem Fotokurs erzählt hatte, denn in unseren Gesprächen ging es ja für gewöhnlich um seinen Tagesablauf, darum, womit er sich praktisch und gedanklich beschäftigte, um seine Begegnungen mit anderen, um seine Bedürfnisse – auch die sexuellen – und wie er den Alltag bewältigte. Dieses Verschweigen erschien mir mit einem Mal doch ungewöhnlich bis verdächtig.
    Und seit dem Tag des Mordes? Soviel ich darüber sagen konnte, hatte sich Zorns Verhalten erst nach der Vernehmung durch die Kripoleute bei ihm zuhause eklatant verändert. Nach diesem Besuch und den bald darauf einsetzenden Demonstrationen vor seiner Wohnung hatte er sich verschlossen wie eine Auster. Ich beschloss, Luckow all dies mitzuteilen und im Gegenzug von Zorns Fortschritten beim Anti-Gewalttraining zu berichten. Denn immerhin hatte mein Klient nach seiner Entlassung keinen Gewaltrückfall erlitten, war nicht wieder, weil er sich von irgendjemandem provoziert fühlte, zum Schläger geworden – zumindest soweit ich wusste. Aber das war nicht mehr als ein schwaches Aufleuchten meiner schon fast vergessenen berufliche Ideale. Ich war wehrlos dem gelben Stachel des Zweifels ausgeliefert, der in mir empor-wuchs, mir ins Fleisch stach und mich unruhig machte. Misstrauen gegenüber Zorns Glaubwürdigkeit nagte an mir, fraß meine Objektivität.
    Luckow hörte sich meine Darstellung an, bedankte sich, knapp und deutlich unzufrieden, für meine Kooperation. Was hatte er erwartet? Dass ich ihm den letzten Beweis für Zorns Schuld lieferte? Ich fragte ihn, ob die Veröffentlichung der Frauenfotos schon Ergebnisse gezeigt hätte.
    »Das Übliche. Eine Menge Anrufer, die sich wichtig machen wollen, aber eigentlich gar nichts wissen. Ein Mann, der seine Frau wiedererkannt hat, die seit Jahren getrennt von ihm lebt. Und tatsächlich zwei Anruferinnen, die sich selbst auf einem Foto erkannt haben. Doch auch da sind wir in eine Sackgasse geraten, haben von ihnen keinerlei Hinweise auf den Fotografen erhalten. Und die Spur aus dem Drogeriemarkt ist ebenfalls kalt. Die Aufnahmen der Überwachungskamera taugen nicht für ein Fahndungsfoto.« Er klappte den Aktendeckel mit resignierter Miene zu und reichte mir über den Schreibtisch hinweg die Hand. »Trotzdem vielen Dank, Herr Weller.« Er brachte mich bis zum Ausgang – allein durfte nicht einmal ein bei der Justizbehörde angestellter Bewährungshelfer durch die heiligen Gänge der Polizeidirektion laufen – und ich merkte auf dem Weg zurück zu meiner Dienststelle, wie die neuen Informationen über Zorn in mir arbeiteten. Sollte ich seine Betreuung wegen Befangenheit an meinen Kollegen Bernd, der sich mit mir den Bereich Gewaltdelikte teilte, abgeben?

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