Wells, ich will dich nicht töten
Marci. »Ich habe meinen Dad gefragt. Vielleicht bekomme ich noch mehr aus ihm heraus, wenn ich weiß, wonach ich fragen muss.«
»Ha!«, lachte ich. »Die Tochter eines Cops und der Sohn eines Bestatters – jugendliche Detektive. Wir sind ein drittklassiger Fernsehfilm.«
»Ich weiß.« Sie reckte die Arme und bog den Rücken durch. Ich wandte instinktiv den Blick ab, fasste den Aktenschrank ins Auge und sprang auf.
»Wart mal!« Ich ging hinüber und zog die oberste Schublade heraus. »Vielleicht hat der Sohn des Bestatters doch noch einen Trumpf im Ärmel.«
»Was meinst du damit?«
»Ich habe vom Bürgermeister nicht viel zu sehen bekommen, weil ich in die Schule musste«, erklärte ich, während ich die Akten durchblätterte. »Aber die Dokumente müssen irgendwo hier sein. Da die Leiche noch da ist, haben wir auch die dazugehörigen Papiere.«
»Was steht denn da drin?«
»Eine vollständige Liste aller Verletzungen.« Ich schob die Schublade zu und öffnete die nächste. »Oje, ich habe keine Ahnung, wie Lauren die Akten ablegt.« Endlich entdeckte ich den Namen des Bürgermeisters auf einem Ordner und zog ihn heraus. »Da hätten wir’s. Vielleicht solltest du dir die Fotos lieber nicht ansehen.«
Sie stand auf und beugte sich über den Ordner, den ich geöffnet auf den Tisch gelegt hatte. »Warum sollte ich … ach, herrje.«
Obenauf lagen Fotos von der Autopsie, die an einen Papierstapel geheftet waren. Marci wandte den Blick ab, würgte und stotterte, während ich die Akte durchsah.
»Die erste Leiche wies Verletzungen auf, über welche die Polizei Stillschweigen bewahrt hat«, erklärte ich. »Das Opfer hatte Dutzende von Wunden im Rücken, die jedoch unter dem Hemd verborgen blieben. Niemand konnte sie sehen.«
»Nicht zu glauben, dass du hier arbeiten kannst.« Sie starrte die Wand an und hielt sich am Bürostuhl fest.
»Du gewöhnst dich dran«, beruhigte ich sie. Schließlich tippte ich auf einen rosafarbenen Durchschlag. »Da ist es. Schussverletzung im Kopf, beide Hände abgetrennt, Zunge entfernt, zwei Pfählungswunden im Rücken, siebenunddreißig Stichwunden im Rücken. O Mann.« Ich atmete tief ein und aus. »Siebenunddreißig Stiche.«
»Mir wird gleich übel.«
»Schon gut.« Ich klappte den Ordner zu. »Ich lege ihn wieder weg.«
»Das hilft mir jetzt auch nicht mehr.«
»Aber sicher.« Ich steckte den Ordner in die Schublade und schob sie zu. »So – die Fotos sind weg, alles ist verschwunden. Du kannst dich wieder umdrehen.«
»Ich muss mich setzen.« Marci ließ sich auf den gepolsterten Bürostuhl fallen. »Ich hätte auch prima weiterleben können, ohne die Fotos zu sehen.«
»Wenn wir die Sache nicht bald checken, wird es noch mehr von der Sorte geben.«
»Sag bloß so was nicht!« Sie lehnte sich zurück und starrte zur Decke hinauf. »Siebenunddreißig Stiche. Wer sticht siebenunddreißigmal auf einen Menschen ein?«
»Genau das ist die Frage«, antwortete ich. »Sie musste es nicht tun, und das bedeutet, dass es ihr wichtig war. Also: Wer verpasst einem Mann siebenunddreißig Stiche?«
»Jemand, der wirklich …« Marci schloss die Augen. »Jemand, der wirklich wütend ist. So wütend, dass sie nicht aufhören konnte, obwohl das Opfer schon tot war.«
»Das Opfer war schon tot, als sie mit dem Zustechen anfing«, erklärte ich. »Der Mann starb durch einen Schuss in den Hinterkopf.«
»Also ist sie unglaublich wütend«, fuhr Marci fort. »So wütend, dass sie auf einen Toten einsticht. So wütend war ich auch schon ein paarmal.«
»Echt?«
Sie funkelte mich an. »Nein, nicht ganz, aber manchmal mache ich einfach … meinem Ärger Luft, verstehst du? Und schlage auf irgendetwas ein.«
»Da muss ich ja aufpassen, dass ich dich nicht in Wut versetze.«
»Wir haben einen Punchingball im Keller«, beruhigte sie mich. »Dank diesem Ding konnte ich schon viele unangenehme Dates aus dem Gedächtnis löschen.«
»Wir haben es also mit einer Mörderin zu tun, die ihrem Zorn Luft macht«, griff ich den Gedanken auf. »Das legt die Vermutung nahe, dass der Angriff insgesamt von Zorn gesteuert wurde – gewalttätig und impulsiv. Die Frau greift jedoch mit Bedacht an, sie plant alles sorgfältig im Voraus. Sie dringt ein und schießt, legt die Plastikplanen aus und sticht erst dann zu. Außerdem entfernt sie die Hände und die Zunge mit größter Präzision. So etwas sieht ganz und gar nicht nach Zorn aus.«
Marci blickte zur Decke hinauf und dachte
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