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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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großen Niederlage seines Volkes hatten diese Leute ihre Kapitalien verdient. Der Slogan »Wie der Westen gewonnen wurde« hatte sein Gegenstück »Wie ein Volk den Westen verlor«, und dieser letzte Spruch stand über Ken Mitchums Leben von Kind an.
    Ken stellte sich mit anderen an der Haltestelle jener Straßenbahn auf, die über einen Hügel zu den Kais führte; diese Bahn war eine der Merkwürdigkeiten der Stadt und in der warmen Jahreszeit von Touristen überfüllt. Heute fand Ken leicht Platz. Bunter als in Berkeley war hier das Völkergemisch: Anglo-Amerikaner, Deutsch-Amerikaner, Black Americans, Israeliten, Araber, Russen, Italiener, Spanier, Chinesen, Japaner. Ken Mitchum achtete nicht darauf.
    Am Platz der Kais, der Piers angelangt, ging er zu den Holzbuden, an denen Italiener Krebse und Ansichtskarten zu verkaufen pflegten; einige waren auch jetzt geöffnet, und Ken kaufte drei Stück einer Karte. Sie zeigte die Ansicht der Felseninsel Alcatraz in der himmelblau gefärbten Bai, umrahmt von der Aufschrift: »For sale or lease« – »Zu verkaufen oder zu verpachten« – und von dem freundlichen Gruß an den Adressaten »Have a wonderful time – wish you were here« – »Wundervoll hier – wünschte, du wärest auch da« –, ein besonders pikanter Wunsch aus jenen Jahren, in denen das alte Gefängnis für Schwerstverbrecher auf der Insel noch belegt war.
    Ken ging zur Schiffsbrücke und schaute lange nach dem Eiland, an dem kein Schiff anlegte, das auch jetzt noch von niemandem betreten werden durfte. Die feuchten Nebel zogen über Wasser und Insel.
    Ein alter Mann, der seine Pfeife rauchte, hatte sich neben Ken eingefunden, und die beiden schauten gemeinsam über die Bucht, die sich zum Meer hin öffnete.
    »Von dort ist keiner entkommen«, sagte der Alte schließlich und deutete mit der Pfeife nach der Insel. »Ein paar sind geflüchtet, ja, aber die Wirbel haben sie verschlungen, oder sie haben sie hinausgerissen ins Meer.«
    Ken schaute den Alten von der Seite an. »Wo habt ihr die Leichen gefunden?«
    »Nicht einmal die Leichen haben sie gefunden.«
    »Und woher wißt ihr also, daß es Leichen gegeben hat?«
    Der Alte war verwundert.
    »Die Wirbel verschlingen jeden, und man hat von keinem mehr gehört.«
    »Sie werden sich ja auch gehütet haben, noch einmal von sich hören zu lassen.«
    Der Alte schüttelte den Kopf.
    Ken überließ ihn seinen Zweifeln und ging zurück zur Straßenbahn, fuhr wieder in das Zentrum der Stadt und begann seinen langen Fußmarsch von den Straßen der eleganten Geschäfte und Hotels zu den Straßen der Fabrik- und Armenviertel. Er fand ein verlassen aussehendes altes Werkstattgebäude, in dem für eine volksfreundliche Zeitung gearbeitet wurde, und traf dort seinen Freund Martell Ingalls, der in der Druckerei beschäftigt war.
    Martell, Eskimo, wenig kleiner als der mittelgroße Ken Mitchum, lebhaft und rührig, wurde durch das Wiedersehen mit Ken in seinen Empfindungen aufgestöbert. Die beiden umarmten sich und lachten, erzählten einander aber noch nicht viel, denn da Ken gekommen war, schien das Entscheidende klar, und sie machten sich in Martells altem Wagen auf den Weg zu seinem Daheim. Es bestand aus einer schmalen Kammer, die er mit einem japanischen Arbeiter teilte.
    Ken und Martell hockten sich auf Martells Lagerstatt.
    Die Habseligkeiten hingen an Wandhaken.
    Martell verzehrte einen Fisch. Ken erklärte, er habe sich heute schon überessen, und benutzte die Zeit zu den wichtigsten Erkundigungen.
    »Hast du alle Adressen?«
    »Ich habe sie. Wir gehen nach Anchorage und auch nach Fairbanks. Sie haben dort eine neue Zeitung gegründet, eine für die Unseren. Dort müssen wir vorsprechen.«
    Ken schloß die Augen halb und überdachte seine geringe Barschaft.
    Martell verstand.
    »In Anchorage helfen unsere Leute uns weiter«, sagte er. »In Fairbanks wohnen meine Eltern, und ich kenne ein Mädchen. Sie geht in die Bars, aber nicht für Geld, und sie hat drei Kinder. Aber sie ist gut. Ein gutes Mädchen. Sie ist nur zu allein und kann im Alaskawinter ihre Kammer nicht heizen; darum kann sie nicht einmal ihre Kinder bei sich haben!«
    »Dein Mädchen, Martell?«
    »Ich will sie dazu machen.«
    Ken und Martell sprachen englisch miteinander. Der japanische Arbeitskollege im engen Raum störte sie nicht.
    Als es Zeit wurde, das Licht zu löschen, teilten sie sich Kens schmales Lager.
    In den Straßen heulten die Sirenen der Polizeiwagen, der Feuerwehr und des

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