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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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auf den Hügel des Universitätsgeländes und hielt bei der Bibliothek. Die Vorlesungen und Seminare hatten kurz vor Weihnachten auch hier geschlossen; nur in den Leseräumen saßen noch einige Studenten. Hugh beobachtete durch die großen Fenster der Bibliothek Ken, der sich mit einem Freund zusammen über ein Buch beugte.
    Magasapa führte einen kleinen Weg, von den Gebäuden weg, zu einer Bank im Freien. Die beiden setzten sich und schauten vom Hügel über die weite vereiste und verschneite Hochebene hinweg bis zu den fernen Bergen, die weiß waren vom Gipfel bis zum Fuß. Nichts, gar nichts als Weiß war zu sehen, kein Baum auf der Hochebene, kein Fels am Berg, nichts als Gletscher und Schnee.
    Sie saßen lange beieinander. Magasapa Ikagiyas Haltung veränderte sich allmählich; die Fülle des Ausdrucks, die Wasescha zuerst begegnet war, wich einer erschreckenden Leere, und die Leere wollte sich wieder füllen, aber sie vermochte es nicht mehr. Mahan sah Ikagiya vor sich, wie sie nach der Zeit ihrer Krankheit in die Schule zurückgekommen war. Er legte den Arm um sie, als ob dies so sein müsse und nicht anders sein könne. Sie lehnte sich an ihn wie ein Mensch, der die Kraft verliert, und er stützte sie. Allmählich aber zog sich ihr Körper von innen her zusammen; es war, als ob der Krampf bei den Eingeweiden beginne, sich über die Glieder ausbreite und das Gesicht ergreife; die Züge verzerrten sich und erstarrten wie die eines Tieres, das gequält worden ist. Wasescha nahm sie in beide Arme, um sie zu wärmen und zu beschützen.
    Er schlug seine Decke, die er bei sich trug, um ihren und seinen Körper, das alte sichtbare Zeichen indianischer Liebe.
    »Hugh Wasescha Mahan«, sagte sie endlich, als sie sich ganz eingehüllt, geborgen und verborgen fühlte, und sie sprach auch mehr zu der schützenden Schulter des Mannes als zu seinem Ohr, so daß er aufmerksam lauschen mußte.
    »Wasescha, warum bist du gekommen?«
    »Um dich zu finden, Magasapa Ikagiya. Ich habe dich lange gesucht.«
    »Es gibt deine Magasapa nicht mehr, Wasescha. Ich habe dich auch gesucht lange Zeit. Ich wollte dir sagen – ich mußte es dir sagen, so dachte ich – du solltest es wissen. Du bist der einzige, zu dem ich hätte sprechen können. Manchmal war ich wie von Sinnen.«
    Hugh Mahan wartete.
    »Magasapa lebt«, sprach er dann. »Sprich.«
    »Wasescha! Ich will es dir sagen, nachdem du gekommen bist. Ich hätte uns ein gesundes Kind schenken können. Sie haben unser Kind ermordet. Sie haben meinen Leib damit geschändet. Sie haben mich dabei und davor und danach zur Schau gestellt vor vielen. Wasescha, ich hatte nur vierzehn Sommer gesehen, und die Geister in den weißen Kitteln waren für mich fremde Männer, die mich grob anfaßten und verspotteten, wenn ich mich schämte und wehrte. Die Schwestern mit den Hauben sagten mir, daß ich nie mehr Kinder gebären könne, und wenn ich eins gebäre, würde es ein Krüppel sein.«
    »Ikagiya, was auch immer die Mörder getan und gesagt und gelogen haben, sie haben es getan und gesagt und gelogen, als du schon meine Frau warst. Wir tragen es zusammen für immer. Hau.«
    »Du bist aber zu jung für mich, Wasescha, ich bin nichts mehr als ein zerbrochenes Zelt.« Das war ihre Sprache. Zelt und Mutterschoß galt als eines in ihrem Zeichen. »Sie haben mit ihren häßlichen Händen und ihren Instrumenten in mir gearbeitet wie ein Raubtier; es war ihnen gleichgültig, was sie zerstörten, und sie haben mich nicht geachtet. Ich war lange krank, nicht nur damals, ich habe noch viele Jahre gelitten. Erst seit dem letzten Winter ist es wieder besser mit mir geworden, und ich kann regelmäßig arbeiten.« Ikagiya preßte ihren Körper an den Waseschas, durch alle künstlichen Hüllen hindurch spürte er seine Frau. Ihre Nerven begannen mit den seinen zu schwingen, und er glaubte den weißen Männern und Frauen nicht, die das Mädchen Ikagiya hatten strafen und das dumme farbige Geschöpf hatten verspotten wollen.
    »Magasapa, ich wohne auch in einem zerbrochenen Zelt mit dir. Ich nehme dich mit mir, und wir arbeiten zusammen für die vielen Kinder unseres Stammes, die uns brauchen. Sag ja, Ikagiya. Ich bin dein Mann. Du weißt es. Du hast es immer gewußt.«
    »Du bist es, Wasescha. Es ist wahr.«
    Magasapa lehnte wieder müde an der Schulter des Mannes.
    »Du hast dir nun eine schwere Last aufgeladen, Wasescha, und schleppst daran ein Leben lang.«
    »Wir werden sehen. Ich trage dich

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