Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg
Andy. Dann fuhren die beiden zurück auf die King-Ranch. Unterwegs, in der Agentursiedlung, erkundigten sie sich auf der Polizeistation nach Joe, erhielten aber nur nichtssagende Auskünfte.
Auf der King-Ranch ging Monture in das Zelt, um die Totenmaske abzunehmen. Ruhe lag über dem eingefallenen Gesicht; es war dem Leben noch nicht ganz entfremdet, sondern drückte das Wesentliche des Lebens dieses jungen Menschen deutlicher aus, da alle Spuren des vorübergehenden Augenblicks und seiner Bewegungen geschwunden waren. Monture blieb bis zum Abend bei Tashina. In der Schulzeit hatten er als werdender Bildhauer, sie als künftige Malerin ihre Ausbildung auf der großen Kunstschule für Indianer im Süden des Landes gemeinsam genossen; diese Jahre verbanden die beiden noch, und für Tashina ging von Montures nicht umwerfbarer Festigkeit ein Sicherheitsgefühl aus, das in keinem der objektiven Umstände begründet war.
Als es dunkel geworden war, ging Edgar mit Hugh noch einmal zu dem Toten, Tatokala hob die Decke auf und zeigte den beiden Männern und sich selbst noch einmal das Antlitz, das jetzt schon vom Vergehen gezeichnet war. Die Schläfen und die Wangen waren hohl, die Augen lagen tiefer in den Höhlen, die Nase trat spitzer hervor und verlieh ebenso wie die gespannte Haut dem Gesicht eine Fremdheit und Schärfe, die es im Leben nie gehabt hatte. Monture nahm eine zweite Maske ab.
Tatokala bedeckte den Toten wieder.
»Ich danke dir, Edgar Monture«, sagte sie. »Jerome wird auch künftig uns und seine Mörder ansehen. Die weißen Männer halten gegen uns zusammen. Aber an dem Tage, an dem der Mörder frei ausgeht, werden wir beginnen, für das Blut Jeromes zu schreien. Sie sollen uns hören. Ich gehe schon, um es allen zu sagen.«
Sie verließ das Zelt; Edgar und Hugh hinderten sie nicht. Noch in der Nacht ritt sie fort.
Als der Morgen wieder graute, kamen Vater und Mutter Patton, um den toten Jerome heimzuholen. Sie fragten nur wenig und klagten nicht. Wasescha und Monture halfen ihnen, den Toten in den Wagen zu tragen, der unten wartete. Die Frage, wann Jerome zur Ruhe in die Erde geleitet werden sollte, beantwortete Vater Patton nur ausweichend.
»Wenn es die Zeit sein wird. Wir dürfen uns jetzt nicht zu vielen versammeln, denn die arge Krankheit geht um. Norris liegt im Fieber. Möge er nicht auch noch sterben. Von den zehn Lehrlingen Oisedas sind auch schon fünf krank. Wir gehen in einer stillen Stunde in stiller Weise mit unserem Sohn Jerome, um ihn in der Erde zu bergen.«
Hugh widersprach nicht. Es mochte sein, daß die Verwaltung den Eltern geraten hatte, so zu handeln. Die Epidemie war ein willkommenes Argument, um das Zusammenkommen vieler Menschen zu untersagen.
Monture verließ mit dem Ehepaar Patton die Ranch.
Drei Tage später kamen sowohl George Mac Lean als auch Joe King in das Tal der Weißen Felsen zurück. Joe hatte sich Krauses Wagen geliehen, George hatte ebenfalls einen gefälligen Bekannten in New City gefunden. Die beiden parkten die Wagen am Straßenrand und kamen den Wiesenweg zu Fuß herauf. Oben angekommen, stand George Mac Lean wie verloren da; er fühlte sich unsicher, allein auf einer einsamen Ranch unter bewaffneten Indianern. Wer bürgte ihm, daß sie den Mörder Jeromes nicht töteten? Er hatte sich mit seinem Wagen an Joe angehängt, durch den er sich zumindest vor einem gefühlsmäßig-spontanen Angriff gesichert fühlte. Jetzt lief er eilig, und ohne jemanden anzusehen, zu seinem eigenen Haus, klopfte, bis seine Mutter öffnete, und trat ein. Hinter sich schloß er die Haustür wieder sorgfältig zu. Er machte ein paar Schritte zum Wohnzimmer und ließ sich dort in einen Sessel fallen. Irgend etwas schien ihm verändert; er fragte sich selbst, was, und stellte fest, daß die Tischdecke und alle Decken verschwunden, die Vorhänge schon von den Fenstern abgenommen waren.
»Was soll denn das?« fragte er unwirsch und abgespannt.
»Wir fahren zurück auf die Sattelranch«, antwortete seine Frau.
»Fahrt doch sofort. Mich könnt ihr ja hier allein lassen.«
»George, nimmst du noch immer keine Vernunft an?«
»Das kann man dich fragen. Wer bezahlt, wenn wir das Haus schon wieder versetzen?«
»Dein Vater hat Unglück genug angerichtet; es kommt auf diese Dollars auch nicht mehr an«, sagte Ann. »Warum hast du geschossen, George? Warst du ganz verrückt?«
»Fang mir nicht so an. Es war Notwehr, klar. Wir waren bedroht. Die Indianer setzten sich vom Friedhof her
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