Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg
gegen uns in Bewegung.«
»Wer soll dir das glauben!« schrie Ann aufgeregt. »Zwei unbewaffnete junge Leute, der eine ein Epileptiker. Ich werde einen verurteilten Mann haben! Was soll denn jetzt werden? Auf dieser Reservation können wir nicht bleiben.«
»Sei still. Gesehen hast du nichts, verstanden? Du warst im Haus und hast gar nichts gesehen. Wenn du anfängst zu reden, kommt nur der größte Unsinn zutage.«
»Ich brauche nicht auszusagen?«
»Als meine Frau nicht und überhaupt nicht, weil du nichts gesehen hast. Ich bin ohne Kaution auf freiem Fuß. Meine Unschuld steht schon fest. Verstanden?«
Die beiden Frauen atmeten auf.
»Ich fahre also sofort auf die Sattelranch«, entschied sich die junge Frau. »Das Vieh ist schon dort. Ich bleibe nicht länger in diesem Unglückshaus hier, und ich bleibe überhaupt nicht länger auf der Reservation. Was ist das für ein Leben! Wohin hast du mich, verschleppt? Nur weil du deinem Vater Untertan…«
»Geh schon, meine Liebe.«
»Ja, geh«, sagte Mutter Mac Lean. »Du und deine Worte sind hier überflüssig.«
Die junge Frau lief hinunter zur Straße, wo der Wagen geparkt war, und setzte ihn in Bewegung.
George ließ sich von der Mutter über die Beerdigung des Vaters und die große Menge der Trauergäste berichten, die gekommen waren, um ihr Beileid und ihre Sympathie zu erweisen. George empfand dabei wenig für den alten Philip. Selbst sein Groll darüber, daß er ihn zum Schuß getrieben hatte, schwand mehr und mehr. Dem kommenden Gericht gegenüber fühlte er sich nach dem Verlauf der ersten Verhöre bereits sicher.
Unterdessen saßen Hugh, Tashina und Joe zusammen im alten kleinen Blockhaus. Es war noch immer so eingerichtet wie zu der Zeit, als Joe geboren worden war. Die beiden deckenbelegten Brettergestelle, die als Lager und Sitzgelegenheit dienen konnten, standen über Eck, davor der schwere Holztisch. An den Wandhaken hingen Joes Hut, das Lasso, die Pistolenhalfter. Ein eiserner Ofen tat, auch als Herd, seinen Dienst wie eh und je, obgleich es daneben eine elektrische Platte gab. In der Ecke befanden sich Gewehre und Munitionskästen.
Dieses Blockhaus hatte eine lange Geschichte so wie das Blockhaus der Mahans. Hier hatten der Großvater und der Vater Joe Inya-he-yukan Kings mit ihren Frauen gewohnt. Trübsal verlorener Freiheit war die Luft gewesen, die sie atmeten; der Verlust der Arbeit hatte ihre Hände untätig gemacht und ihre Gedanken aus dem Tag hinweggeführt; das Wasser, das sie Heiligwasser und das die weißen Männer Feuerwasser nannten, hatte ihnen starke bunte Träume in ihre Verzweiflung hineingeschickt und immer wieder ein erbärmliches Erwachen beschert. Oft waren sie im Rausch gewalttätig geworden. Joes Mutter, Enkelin des alten Inya-he-yukan, eine edle Frau altindianischer Art, ihrem Sohn unvergeßlich, hatte eines Nachts den betrunkenen Großvater mit dem Beil erschlagen, um ihr Kind zu retten. Das Blut war Joes erste Erinnerung aus dem alten Blockhaus. Den Vater hatte ein Freund im Trunk unwillentlich erschossen. Joe hatte eine wilde und schwere Kindheit durchlebt, auch in der Schule, denn der Klassenlehrer kannte und verstand seine Nöte nicht. Aber die Worte der Mutter und ihr Wesen hatten sich ihm eingeprägt, und Vater und Großvater hatten überlegt, bestimmt und auch milde gesprochen wie Ratsmänner, Anführer und gute Väter, wenn nur ihre Gedanken nicht vom Brandy verdunkelt waren. Sie hatten Joe nicht nur im Rausch geschlagen, sie hatten ihm auch nüchtern über vieles aus Vergangenheit und Gegenwart Auskunft gegeben, und er hatte als Kind nicht nur früh angefangen, sich zu wehren wie eine Wildkatze, und als junger Bursche nicht nur den betrunkenen Vater gefesselt, sondern er hatte auch gelauscht, sobald die Vernunft aus Vater und Großvater sprach. In eben diesem Blockhaus, in dem die drückenden und die aufrichtenden Erinnerungen nicht aus Wänden und Boden weichen wollten, hatten Joe und Tashina vor sechs Jahren sehr jung ihre Ehe begonnen; sie war aus der Schule gekommen, er aus dem Gefängnis.
Joe drehte sich zwei Zigaretten und rauchte sie, ehe er zu sprechen begann.
»Sie haben mich gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt«, teilte er mit. »Ich habe meine Büffel und meine Pferde verpfändet. Die möchten sie wohl gern haben. Aber ich fliehe nicht. Sie arbeiten an der Anklage. Sie wollen auf Mord klagen und mich dann hinrichten.«
»Das wird ihnen doch schwerfallen«, meinte Mahan.
»Es wird ihnen
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