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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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vor den Bücherschrank getreten und drehte dem Mädchen den Rücken zu, so daß sie sprechen konnte, als ob niemand da sei.
    »Meine Geschwister sind es. Wir haben keinen Vater und keine Mutter mehr und keinen Großvater und keine Großmutter, keinen Muttersbruder, keine Muttersschwester. Bei der Typhusepidemie vor ein paar Jahren sind sie alle gestorben. Vaters Bruder lebt, aber er trinkt. Wir Kinder sind allein geblieben. Wir sind drei. Ich bin in der Mitte. Ein großer Bruder und ein kleiner Bruder.«
    »Wo sind deine Brüder?«
    Mahan trat vom Bücherschrank weg und setzte sich dem Mädchen gegenüber an den Schreibtisch.
    »Der kleine liegt im Krankenhaus, ich weiß nicht, ob Sie noch daran denken. Oiseda sagte mir, daß der Priester Elk von ihm gesprochen hat, am Grabe Tishunka-wasit-wins.«
    Hugh schämte sich vor sich selbst.
    »Ich denke noch daran. Wo ist der große Bruder?«
    »Im Gefängnis in New City.«
    Tatokala hatte sich jetzt von sich selbst abgesetzt. Sie berichtete, als ob sie von andern spräche.
    »Warum im Gefängnis?« fragte Mahan.
    »Wegen Gewalttätigkeit.«
    »Was hat er getan?«
    »Es war auf dem Rodeo in New City. Bronc mit Sattel.«
    Tatokala unterbrach sich selbst. Dicht am Fenster war ein Mann vorbeigegangen; er hatte kurz durch das Fenster hereingeschaut. Auch Mahan hatte ihn gesehen. Wie ihm dabei zumute war, hätte er nur durch eine Geschichte ausdrücken können; es gab kein genau treffendes Wort dafür. Aber er wußte von der Geschichte eines kleinen Affen, den ein Vater aus Südamerika mitgebracht hatte als Spielzeug und Haustier und den der älteste Sohn unaufhörlich gequält hatte. Der Sohn war eines Tages ausgewandert, und das Äffchen hatte seine Ruhe. Aber zehn Jahre später kam der Sohn zurück, des Morgens, gerade zur Frühstückszeit der Familie. Der Sohn hatte sich nicht angemeldet, er wollte alle überraschen. Als er die Zimmertür öffnete, erstarrte das Äffchen, das auf einer Stuhllehne saß, erst wie zu Stein. Ehe aber noch jemand ein Wort herausgebracht hatte, sprang es auf den. Tisch und schleuderte die Kanne mit heißem Kaffee dem Wiederkehrenden ins Gesicht. Er trug seinen Denkzettel fürs Leben davon. So etwa war Mahan zumute, denn er hatte den Mann, der eben vorbeigegangen war, als einen seiner ehemaligen Internatslehrer erkannt.
    »Sprich weiter«, sagte er zu Tatokala.
    Lehrer Ball kam herein und machte sich am Bücherschrank zu schaffen. Das Mädchen blieb tapfer.
    »Mein Bruder Gerald ist ein guter Reiter und wollte den ersten Preis gewinnen. Er hatte auch keine andere Arbeit und brauchte das Geld. Aber er sollte nur den dritten Preis machen wegen irgendeines Wettschwindels. In New City gibt es das jetzt auch schon. Sie wußten, daß er sich trotzdem den ersten holen wollte. Da flog er aber, denn jemand hatte ihm den Sattelgurt angeschnitten. Er wußte, wer es war, und hat ihn des Abends schwer zusammengeschlagen.«
    »Wieviel Jahre?«
    »Drei. Das war hart. Er sollte schon entlassen sein. Seit drei Monaten warte ich auf ihn. Er ist nicht gekommen. Aber nun hat mein Mitschüler Jerome Patton, der ältere Bruder von Norris, über die Agentur erfahren, daß Gerald morgen das Gefängnis verläßt. Er hatte wohl eine Zusatzstrafe. Wenn er aus dem Tor kommt, wird niemand dasein, der auf ihn wartet. Sie haben mir nicht erlaubt, ihm zu schreiben, und sie erlauben mir nicht hinzugehen.«
    »Ich gehe. Zu deinen beiden Brüdern.«
    »Sie tun es?«
    »Ja.«
    »Ich komme mit«, sagte Ball.
     
    Das Wochenende, Sonnabend und Sonntag, war schulfrei. Trotzdem wurde Mahan am Sonnabend in der Frühe, noch ehe er sich mit Ball auf den Weg gemacht hatte, zu Rektor Snider in dessen Dienstwohnung gerufen.
    »Mahan, was gibt es zwischen Ihnen und der Internatsschülerin Julia Bedford?«
    Mahan dachte an den Mann, der durch das Fenster geschaut hatte.
    »Das Mädchen und seine beiden Brüder sind Waisenkinder. Sie bat um einen Rat.«
    »Für die Privatangelegenheiten der Internatsschüler sind die Hausmutter und der Hausvater da. Es ist überhaupt nicht üblich, Schülerinnen in die Privatwohnung des Lehrers zu holen. Sie sind für das Internat nichts weiter als Sportaufsicht. Wollen Sie das bitte ein für allemal zur Kenntnis nehmen, Mahan.«
    »Mister Snider, wenn Sie mich auf Grund einer Denunziation zurechtweisen, die Sie von Mister Wyman erhielten, so warne ich Sie davor, Vertrauen zu diesem Mann zu haben. Er gehört nicht an eine Schule, sondern ins Gefängnis wegen

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