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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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und die beiden blieben unter sich. Sie liefen quer über den Hang, der Feindranch den Rücken zugekehrt. Vor sich hatten sie nichts als das in Nacht versunkene baumlose Land. Eine lange Zeit schwiegen sie miteinander und gingen mit großen Schritten, aber in gemächlichem Tempo weiter. Dann hob Hugh einen Gedankenfaden, den er hinter sich hergezogen hatte, auf.
    »Ich war zu langsam im Verstehen, Stonehorn, aber nun, denke ich, habe ich verstanden, was hier geschieht. Du brauchst einen Mann, der reiten und hüten kann – nicht nur Kinder. Du brauchst ihn jetzt. Es kann nicht alles auf dir allein liegen; du kannst nicht zur gleichen Zeit überall sein. Lassen wir Gerald gleich hier.«
    »Und deine Mutter?«
    »Ena-ina-yin war viele Winter und Sommer allein. Ich habe nun Zeit, sie zu besuchen. Sie haben mich von der Schule schon halb abgehängt.« Hugh berichtete.
    »Und Iliff?«
    »Das mag Gerald entscheiden.«
    »Gerald hat seine Geschicklichkeiten nicht vergessen, und er ist ein guter Mann für Tiere; er schindet nicht. An die Ausdauer, die ein Hirte braucht, muß sich sein Körper wieder gewöhnen; ich werde ihm die Zeit lassen. Deine Mutter könnte mit ihm hierherkommen – über den Winter, wenn sie will. Wir haben sieben Kinder, dazu viel andere Arbeit und keine Großmutter. Meine Frau ist nicht mehr sie selbst. Wenn Hetkala und Iliff bei uns wohnen, haben wir acht Kinder und eine Großmutter. Das ist schon besser. Und Iliff macht im Winter von hier aus den Schulweg durch den. Schnee leichter und auch nicht allein.«
    »Schon wahr. Wie wird Tashina denken?«
    »In dieser Sache einmal wie ich.«
    »Ich spreche mit meiner Mutter. Sie hängt am Haus und an den Wiesen und an dem unheimlichen Grab meiner beiden Geschwister und an den Träumen von meinem Vater. Aber – wenn es um Kinder geht – und um zwei kranke Kinder – wird sie doch kommen.«
    »Sag ihr, wir brauchen eine Untschida. Wird es uns zu eng, so stelle ich auch für den Winter das große Lederzelt meines Ahnen wieder auf. Es hält selbst in Schnee und Sturm.«
    Die beiden Männer kehrten um und gingen im Bogen langsam zurück. Hugh arbeitete an seinen Gedanken, wollte sie abweisen, aber da sie im Untergrund des Gefühls ihre Wurzeln hatten, wuchsen sie immer wieder nach, sooft er sie auch pflückte und wegwarf. Endlich begann er von neuem zu sprechen, ohne seiner Zunge den bewußten Befehl gegeben zu haben; es wollte aus ihm heraus.
    »Du sollst mir helfen, Inya-he-yukan.«
    Stonehorn blieb stehen, damit Wasescha Zeit behielt zu sprechen.
    »Du mußt wissen – ja, du sollst wissen, daß ich in unserem Schulgefängnis ein Mädchen gekannt habe. Ich muß sie wiederfinden. Sie war von unserem Stamm.«
    Stonehorn ging ein paar Schritte hangaufwärts, ließ sich in einer gegen Blicke und Wind geschützten Mulde nieder und wartete, bis Hugh sich neben ihn gesetzt hatte. Er riß einen Grasstengel ab und begann daran zu kauen. Hugh Wasescha tat unwillkürlich das gleiche. Er mußte Pausen zwischen seinen Worten füllen.
    »Sie war jünger als ich, fünf Winter jünger, und natürlich nicht in meiner Klasse. Wenn du wissen willst, wie sie war, so denke an deine Frau; so war sie, nur war sie anders geworden. Denn man hatte sie wie mich von Vater und Mutter weggerissen und in unser Schulinternat gebracht. Das ist etwas anderes gewesen als die neue Kunstschule für Indianer, in der deine Frau in der gefilterten Luft der weißen Männer geatmet, unter Daunen geschlafen, ihr Talent entwickelt, getanzt und mit den Jungen gescherzt hat.«
    »Ah – das hat sie dir erzählt?«
    »Beim Lagerfeuer. Sollte sie es nicht?«
    »Erlaubt, aber erstaunlich. Die gefilterte Luft konnte sie lange Zeit nicht ganz aus ihren Lungen treiben. Mein Leben hier blies kalt wie der Sturm im Winter. Nun ist sie es schon eher gewohnt, aber es schmerzt sie immer noch.«
    »Unser Schulinternat war anders, es war wie ein Gefängnis für Indianerkinder, alt und nicht hell. Über jedem unserer Tage standen die Worte Ungehorsam und Strafe, obgleich wir oft gehorchen wollten, wir verstanden nur nicht, was der Lehrer sagte. Es war meinem Mädchen gleichgültig, wenn sie gestraft wurde, sie trotzte. Immer wieder müßte sie stehen – du weißt, des Abends, wenn die andern schon schliefen –, zwei Stunden stehen und frieren. Sie haben sie auch geschlagen und eingesperrt, ein Kind von sechs und sieben Jahren, wie zuvor mich. Aber es war ihr gleichgültig.«
    »Was war ihr nicht

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