Welt Der Elben (1-3)
Entscheidung fällen. Jetzt gleich. Es war kein Aufschub mehr möglich. Der Wind blies das Haar in ihr Gesicht. Doch sie blieb wie versteinert stehen, ließ es geschehen. Erst nach einer Weile senkte sie den Kopf und blickte zu ihren Füßen.
Nichts als graues, ödes Gestein! Das ist also der sagenumwobene Felsen der Loreley. Bis heute erzählten sich die Menschen die Geschichte. Und doch kannten sie nur die halbe Wahrheit und glaubten, alles sei nur eine Sage voller Magie und Fantasie.
Die Frau, die jetzt auf dem Felsen stand, wusste es besser. Eine betörend schöne Gestalt hatte einst bei Sankt Goarshausen die Schiffe in die Irre geleitet und die Männer ertränkt.
Die schöne Mörderin war eine Elbin gewesen – so wie sie – und sie hatte einst hier am selben Fleck gestanden.
Loreley vom Rhein hatte die Menschen gehasst. Deshalb hatte sie Sturm heraufbeschworen und ihre Schiffe an den Klippen zerschmettert. Ihr Hass war so groß gewesen, dass sich selbst die Elben vor ihrer Macht fürchteten. Wäre sie zu ihnen zurückgekommen, zurück nach Aion, dann hätten die Priester und die Weisen sie bestraft. Sie hätten ihren schönen Körper genommen und sie in die Gestalt eines weißen Hirsches gesteckt.
Aber Loreley kehrte nicht zurück. Niemals.
Die Frau mit dem wehenden roten Haar, die nachdenklich auf dem Felsen stand, hob nun den Kopf. Der größte Teil des Himmels war bereits schwarz, dunkelgraue Wolken jagten im Westen der untergegangenen Sonne hinterher. Die ersten Sterne funkelten im Osten. Fremde Sterne. Es waren nicht ihre, nicht die von Aion. Allmählich baute sich die Milchstraße in all ihrer glitzernden Pracht an der Himmelskuppel auf.
Ich bin auf Tellus.
Noch einmal atmete sie tief ein. Dann hob sie die Arme, streckte sie zum Himmel und spreizte jeden Finger. Sie spürte die Energie des Universums. Und dann entfesselte sie die Kräfte.
Sanft, ganz sanft ballte sich der Wind zusammen, ordnete seine Ströme neu.
Als die Frau die Arme wieder senkte, wusste sie, dass es nun keinen Weg mehr zurück gab.
Der Orkan ist entfacht!
32 Blut
D ie halbe Nacht hatte Heather wach gelegen und überlegt, was Zalym so verwirrt hatte. Erst gegen Morgen war sie eingeschlafen. Nun weckten die Stimmen der Elben sie.
»Hat Heather das wirklich gesagt? Das ist ja unglaublich«, hörte sie Tessya mit Zalym und Moryn reden.
»Ja, hat sie. Außerdem kannst du sie auch gleich selbst fragen«, erwiderte Zalym.
»Das wäre echt ein Ding«, brummte Moryn. »Denkt ihr, was ich denke?«
Verdammt, ich bin hundemüde, dachte Heather, gähnte und zog sich die Decke über den Kopf. Außerdem wollte sie am frühen Morgen keinen Tratsch über sich hören. Sie hatte gehofft, mittlerweile in der Gruppe akzeptiert zu sein. Zumindest abgesehen von Moryn. Seine kühle Distanz war nicht zu übersehen. Sein Blick verursachte ihr jedes Mal ein merkwürdiges Kribbeln im Nacken, auf den Schultern und den Armen.
Schläfrig tastete sie nach ihrem Knöchel. Er sah ganz normal aus. Scheinheiliges Ding!
Vorsichtig trat sie auf und verschwand im Bad. Sie griff sich eine der streitbaren Zahnbürsten. Bei dieser hatte sich jemand die Mühe gemacht, sie mit einer Schnitzerei zu verschönern. Ein Gesicht lächelte vom Stiel herab.
»Guten Morgen!«, sagte Heather und steckte die Bürste mit dem Stiel zusammen. Die Borsten begannen zu vibrieren. Das Gesicht blickte grimmig. Sie steckte die Bürste in den Mund, putzte sich die Zähne und spuckte aus. Als sie den Kopf vom Stiel abzog, lächelte das Gesicht wieder.
Kurze Zeit später berührte sie den Durchgang zum Gemeinschaftsraum. Die Tür glitt mit einem leisen Zisch zur Seite. Sciencefiction. Nein, das hier ist echt. Das glaubt mir niemand, wenn ich zurück bin. Sollte ich jemals zurückkommen…
Zögernd trat sie an den Tisch.
Moryn sprang auf. »Kommt, lasst uns erst mal etwas frühstücken! Wir können ja dabei alles bereden«, sagte er und ging in sein Zimmer. Heather konnte durch die geöffnete Tür sehen, dass er etwas in seinen Rucksack packte und danach das Bett glättete. So viel Ordnungssinn hatte sie ihm gar nicht zugetraut.
Zalym starrte sie nachdenklich an, sagte aber kein Wort. Schließlich stand Tessya auf und streckte sich. »Geht es dir besser? Was macht dein Knöchel?«
»Geht schon«, sagte Heather leise. Sie sehnte sich plötzlich nach ihren Brüdern. Aber die waren Lichtjahre entfernt. »Ich könnte einen Kaffee gebrauchen.«
»Sag ich doch schon die ganze
Weitere Kostenlose Bücher