Welt Der Elben (1-3)
kann schon eine Säge bewirken? Ein kleiner Ast kann kein so gewaltiges Tor festhalten.« Heather überlegte. Und wenn es umgekehrt ist und das Tor den Ast festhält?
Zalym zog die Beine an und umschlang die Knie.
»Was ist das eigentlich für ein Baum hier?« Sie zog die Beine ebenfalls an und legte den Kopf auf die Knie.
»Es ist ein Wächterbaum. Er beschützt den Toreingang.«
»Ist das ein Heiliger Baum?«
»Selbstverständlich. Worauf willst du hinaus?«
Heather wusste es selbst nicht so genau. »Sie tun doch etwas für euch. Eure Torbäume und eure Hausbäume . Sind sie dann nicht irgendwie lebendig?«
»Alle Bäume sind lebendig!« Zalym zog die Mundwinkel nach unten.
»Ja, aber der hier liegt im Sterben. Was würdest du machen, wenn du wüsstest, du müsstest bald sterben?«
»Ich würde mich auf den Weg zu Sefyra machen.«
»Die Göttin, die eure Seelen in Empfang nimmt?«
»Ja.«
»Aber der Baum kann das nicht!«
»Worauf willst du hinaus?«
Ein Gedanke, undeutlich wie ein versteckter, lange nicht benutzter Pfad, drängte sich in ihren Kopf. » Ich wollte getröstet werden. Ich wünschte, jemand würde meine Hand halten und mir sagen, dass alles wieder gut wird.«
Offenbar dachte Zalym in eine ganz andere Richtung, denn er drückte plötzlich ihre Hand und sagte: »Heather, alles wird wieder gut. Ich versprech dir, du kommst wieder nach Hause!«
Sie schluckte. Schweigend saßen sie eine Weile da. Heather strich mit den Fingern über die Rinde. »Wir könnten doch über Moryns Handy Hilfe holen. Die Blätter sind noch nicht verwelkt. Es ist vielleicht noch nicht zu spät. Wenn der Baum bald aufgerichtet wird und die Wurzeln zurück in die Erde kommen. Hätte er dann nicht eine Chance?«
Zalym sah sie an. »Du hast recht. Was waren wir dumm. Und so egoistisch, nur an uns zu denken.«
Er schnippte mit der Hand und sprang auf. »Hey, ruft doch bitte sofort Hilfe herbei!«, brüllte er Tessya und Moryn zu. »Sie sollen kommen, um den Baum zu retten!«
Auch Heather stand auf. Sie reckte den Kopf und sah, dass Moryn in seinem Rucksack kramte, das Handy auspackte und telefonierte.
»Ist geschehen!«, brüllte er zurück. »Aber sie kommen frühestens in drei Stunden hier vorbei. Für uns ist es dann zu spät. Also kommt zurück!«
Sie dachte nicht im Traum daran und setzte sich wieder. Zalym machte es ihr nach.
Vielleicht war es eine Verzweiflungstat, zu der man nur fähig ist, wenn man in einer Parallelwelt festsitzt und bereits mit Delfinen geredet hat, was soll’s?, dachte sie und streichelte den Baum. »Hörst du? Wir haben Hilfe für dich gerufen. Sie werden kommen und dich retten. Schaffst du es, bis dahin durchzuhalten?«
Tief in ihrem Inneren hatte sie das seltene Gefühl, das Richtige zu tun. Unter ihrer Haut begann es zu kribbeln. Und In diesem Moment ließ der Ast den Felsen los. Oder der Fels den Ast. Und das Tor sprang auf.
»Alle Achtung! Du hast mehr von einer Elbin, als du ahnst!« Zalym pfiff durch die Zähne.
Mit einem Jubelschrei machten sie auf sich aufmerksam.
»Was ist los?«, brüllte Moryn. Er spähte zum Tor. »Wie in aller Aionzeit, verdammt noch mal, Zalym, wie hast du das hingekriegt?«
»Ich war das nicht. Heather hat es geschafft.« Zalym grinste. »Sie hat den Baum getröstet und ihm gut zugeredet.« Er sprang vom Baum, stellte sich in den Toreingang und hob die Arme. »Ich fang dich auf, damit dein Gelenk nicht wieder etwas abkriegt.«
Heather fühlte ihre heißen Wangen und sprang.
37 Bäume können nicht reden
T essya atmete tief ein. Die frische Luft tat gut. Endlich hatten sie den heißen Staub der Felsen hinter sich gelassen.
Sie blickte unauffällig zu Heather hinüber.
Wieso konnte sie das Rätsel um den Wächterbaum lösen und wir nicht? Hat Lynn uns nicht immer wieder gelehrt, auf das Wispern der Bäume zu hören? Die Antwort lag die ganze Zeit vor mir. Ich habe diese Prüfung nicht bestanden. Wenn Heather die Ausbildung der Elben genossen hätte, zu welchen Dingen wäre sie dann fähig? Eine Anführerin? Eine der Weisen?
Vor Tessya lag ein gewundener Pfad. Sie versuchte sich auf den Weg zu konzentrieren. Auf die Schönheit des Waldes. In Frankenfyrt gab es keine Palmen und keine haushohen Gummibäume. Es gab in den Wäldern, in denen sie zuhause war, Farne, aber keine, deren Blattspitzen zu faustgroßen Schnecken aufgerollt waren. Ob Heather jemals so etwas Schönes gesehen hatte? Lianen hingen von den Bäumen und einer milchig
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