Welt im Fels
dem Mädchen voll Stolz und Verwunderung zu. »Das ist der echte Himmel, sind die echten Sterne.« Sie sah schnell hin, nickte und schloß die Augen wieder. »Draußen vor dem Fenster ist Weltraum, Vakuum, keine Luft zum Atmen. Einfach nichts, eine riesige Leere. Wie kann die Entfernung zu einem Stern gemessen werden – wie können wir sie uns vorstellen? Und diese unsere Welt ist unterwegs von einem Stern zu einem anderen, wird ihn eines Tages erreichen. Kennst du den Namen unseres Zielsterns?«
»Man hat ihn uns gesagt – aber ich habe ihn vergessen.«
»Proxima Centauri. Möchtest du ihn nicht sehen? Es ist einer von denen dort draußen, direkt vor uns. Die Maschine wird ihn finden.«
Sorgfältig stellte er auf den Skalen die richtigen Koordinaten ein. Er drückte auf den Bedienungsknopf und lehnte sich zurück.
Das Teleskop erzitterte und begann langsam zu schwenken. Chimal wartete, während das Gerät sich mit bedächtiger Präzision drehte, langsamer wurde und anhielt. Es zeigte weit zur Seite, fast neunzig Grad von der Mitte des Fensters entfernt.
Chimal lachte. »Das kann nicht sein«, sagte er. »Da muß ein Fehler drin sein. Wenn Proxima Centauri tatsächlich so weit dort drüben seitlich von uns stünde, würde das bedeuten, daß wir schon an ihm vorbeigeflogen …«
Seine Finger zitterten, als er von neuem die Liste überflog, um noch einmal die Zahlen zu überprüfen. Sie stimmten.
4.
»Sieh dir nur einmal diese Zahlen an und sag mir, ob sie stimmen oder nicht – mehr will ich nicht.« Chimal legte die Papiere vor dem Chefobservator auf den Tisch.
»Ich habe dir schon gesagt, ich habe nicht viel Übung in Mathematik. Es gibt Maschinen für diese Dinge.« Der alte Mann starrte geradeaus und sah weder Chimal noch die Papiere an.
»Die Zahlen sind von einer Maschine, einem Readout. Sieh sie dir an und sag mir, ob sie richtig sind!«
»Ich bin nicht mehr jung, und es ist Zeit für mich, zu beten und zur Ruhe zu gehen. Bitte laß mich allein!«
»Nein. Nicht bevor du mir eine Antwort gegeben hast. Du willst nicht antworten, nicht wahr?«
Das beharrliche Schweigen des alten Mannes zerstörte den letzten Rest Geduld, den Chimal noch mühsam aufgebracht hatte. Der Chefobservator stieß einen heiseren Schrei aus, als Chimal nach seinem Deus griff und mit einem kurzen Ruck von der Kette riß, an der er hing. Er betrachtete die Zahlen in der Öffnung.
»186 193 … weißt du, was das bedeutet?«
»Das ist – das ist Blasphemie! Gib das zurück, sofort!«
»Mir wurde gesagt, daß dies die Anzahl der Reisetage in der alten Erdzeit anzeigt. Wie ich mich erinnere, hat ein Erdjahr etwa 365 Tage.«
Er warf den Deus auf den Tisch, und der Alte ergriff ihn sofort mit beiden Händen. Chimal zog eine Schreibtafel und einen Griffel aus seinem Beutel. »Dividiert durch … dürfte nicht schwer sein … das ist …« Er unterstrich die Zahl und hielt sie dem Chefobservator unter die Nase. »Es sind seit Beginn der Reise 510 Jahre vergangen. Die geschätzte Dauer in allen Büchern beträgt fünfhundert Jahre oder weniger, und den Azteken wurde prophezeit, daß sie nach 500 Jahren befreit würden. Das ist nur ein weiterer Beweis. Mit eigenen Augen habe ich gesehen, daß wir nicht nach Proxima Centauri unterwegs sind, sondern uns auf einem Kurs in das Sternbild des Löwen befinden.«
»Wie willst du das wissen?«
»Weil ich im Navigationsraum war und das Teleskop benutzt habe. Die Rotationsachse weist nicht in Richtung Proxima Centauri. Wir fliegen woanders hin.«
»Dies sind alles sehr komplexe Fragen«, sagte der alte Mann und betupfte mit einem Taschentuch sein Gesicht. »Ich erinnere mich an keinen Zusammenhang zwischen der Rotationsachse und unserem Kurs …«
»Aber ich – und ich habe es mehrmals überprüft, um ganz sicher zu sein. Es gibt keinen Zweifel. Um das richtige Funktionieren der Navigationsinstrumente zu gewährleisten, ist die Rotationsachse auf den Proxima Centauri gerichtet. Wenn er auswandert, werden automatische Kurskorrekturen ausgeführt – wir bewegen uns also in Richtung der Hauptachse. Das sind die Tatsachen.« Chimal biß sich plötzlich nachdenklich auf einen Fingerknöchel. »Allerdings könnten wir jetzt zu einem anderen Stern unterwegs sein! Sag mir die Wahrheit – was ist geschehen?«
Der alte Observator verharrte noch eine Weile in seiner Starre, dann sackte er seufzend in seinem stützenden Ektoskelett zusammen.
»Vor dir läßt sich nichts verbergen,
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