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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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abgefunden hatte, nie mit den Fingern darüberzustreichen, seinen Duft einzuatmen oder damit ihren Kopf zu mir herumzureißen, während ich sie von hinten fickte. »Nein«, sagte sie. »Er ist einer von denen, die als kleine Jungen in ein Internat gestopft werden …«
    »Na, bei mir war das nicht so.«
    »Schsch.« Sie musterte mich streng. »Ich hab dir auch zugehört. Ob es nun daran liegt oder nicht, jedenfalls ist er zu der Auffassung gelangt, dass alle nur auf sich selbst schauen und niemand sich ernsthaft für andere interessiert, auch wenn manche so tun. Seitdem kümmert er sich ausschließlich um sich selbst und hat nicht das Gefühl, dass daran was verkehrt sein könnte. Er versteht nicht mal, dass dass nur ein Standpunkt ist, und noch dazu ein ziemlich perverser. Für ihn ist es eine große Wahrheit über die Menschen und das Leben, die nur er und ein paar andere Realisten rausgefunden haben. Aber jetzt hat er ein Problem. Vielleicht ist er noch von einem winzigen Rest Anstand infiziert, auf jeden Fall kann er nur dann wirklich mit sich und seinem jämmerlichen Egoismus zufrieden sein, wenn er sich sicher ist, dass er mit dieser Haltung nicht zum Monster wird. Für seinen Seelenfrieden muss er davon überzeugt sein, dass nicht nur er so ist, sondern dass alle, die behaupten, dass ihnen andere wichtig sind, Lügner sind - zum Beispiel weil sie Angst haben zuzugeben, dass auch sie nur an sich selbst denken, oder weil sie Leuten wie ihm Gewissensbisse machen wollen.«
    Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sich Chloë ebenfalls
die Nase mit Schnee geputzt hatte, aber irgendwie auch wieder nicht, du verstehst schon. Sie redete nicht wie jemand, der bis zu den Ohren voll ist. Aber Scheiße, sie quasselte noch immer.
    »Sozialisten, Betreuer, Sozialarbeiter, ehrenamtlich Tätige, in Wirklichkeit sind sie alle, da ist er sich völlig sicher, bloß fiese Schweine, die sich selbst was vormachen oder aus schmutzigen, linken Gründen ganz bewusst darauf zielen, die Selbstachtung normaler Menschen mit einem gesunden Ehrgeiz zu untergraben. Denn wenn sich alle einfach nur um ihre Interessen kümmern würden, wäre alles in Butter. Gleiche Voraussetzungen für alle, nackt und ungeschminkt, jeder weiß, wo er steht.Wenn manche Leute nicht total egoistisch sind oder, schlimmer noch, so tun , als wären sie nicht egoistisch, dann ist das ganze System beim Teufel. Das Ganze wird dadurch nicht gerechter, wie sie behaupten, sondern ungerechter. Solche Leute nennt er Gutmenschen, und sie machen ihn wütend. Wahrscheinlich wären ihm Schlechtmenschen lieber, und das ist schon eine ziemlich beschissene Haltung, wenn man sich das mal überlegt. Er ist zutiefst davon überzeugt, dass diese Scharlatane entlarvt werden müssen. Redet über nichts anderes. Lässt keine Gelegenheit aus, sie als Heuchler und Schwindler anzuschwärzen. Und ehrlich gesagt, Ade, halte ich ihn für ein komplettes Arschloch.«
    Ich nickte. »Aha. Ehemaliger Freund?«
    »Nein, Ade. Mein Dad. Du erinnerst mich an meinen Dad.« Chloë leerte ihr Glas. »Tut mir leid.« Sie nickte Richtung Damentoilette. »Na, da sind die zwei ja schon und sehen zum Glück wieder etwas frischer aus.« Anmutig glitt sie vom Hocker. »Ich glaube, wir ziehen weiter. Interessante Unterhaltung, Ade. Du kommst alleine klar, oder?«

    Kurz darauf hatten sich die drei verpisst.
    Ihr Dad? Am liebsten hätte ich der blöden Kuh eine gescheuert.

DER PHILOSOPH
    Ich hatte schon immer Alpträume. Lange bevor ich Soldat und Polizist wurde, lang bevor ich GFs Vater umbrachte und zum Folterer wurde, hatte ich unangenehme, bedrohliche, beängstigende und beunruhigende Träume. Vielleicht wurden sie unmittelbar nach Mr. Fs Tod eine Zeit lang schlimmer. Aber ich denke, dass meine Entscheidung, keine persönlichen Rachefeldzüge mehr zu unternehmen und meiner beruflichen Tätigkeit nur mit der Rückendeckung einer höheren Autorität und eines gültigen gesetzlichen und moralischen Rahmens nachzugehen, zur Entlastung meines Gewissens beigetragen hat. Auf jeden Fall wurden meine Alpträume danach weniger schlimm.
    Aber sie verschwanden nicht. Noch immer suchten sie mich heim. Menschen, Gesichter, Geräusche, vor allem Schreie. Manche hatten ihren Ursprung in aktuellen Ereignissen: der letzte Gefangene, das aufsässige Brüllen am Anfang, das folgende Schmerzgeheul und zuletzt das unvermeidliche, erbärmliche Wimmern um Gnade, manchmal zusammen mit den gewünschten Informationen, doch meistens ohne

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