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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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nützliche Hinweise, weil der Gefangene nichts Brauchbares wusste.
    Eine gewisse Ernüchterung erfasste mich wohl, doch das hatte nichts mit den Alpträumen zu tun. Unsere Arbeit nahm einfach kein Ende und konnte offenbar nie besonders
viel bewirken. Stets gab es neue Gefangene, und ab einem bestimmten Punkt war es so, dass die Gesamtzahl der zum Verhör Überstellten aus verschiedenen Altersgruppen, privaten und beruflichen Zusammenhängen nur noch anwuchs. Die Gesellschaft um uns herum schien zusammenzubrechen. Die Bedrohung durch die christlichen Terroristen wurde immer größer, obwohl der Staat und Dienste wie wir sich ihnen mit aller Kraft entgegenstemmten, und zu den echten Terroristen und Terrorverdächtigen gesellten sich jene, die mit den aufgrund der anfänglichen terroristischen Aktivitäten verschärften Sicherheitsvorkehrungen und -gesetzen in Konflikt gerieten.
    Meine Kollegen und ich trösteten uns mit dem Gedanken, dass die Lage ohne unser Engagement und unsere Professionalität noch viel schlimmer gewesen wäre.
    Schließlich übernahm ich nach einer längst verdienten Beförderung administrative Aufgaben und wurde sozusagen nur noch gelegentlich an vorderster Linie benötigt. In regen Zeiten half ich aus, und wenn Kollegen unverhofft ausfielen, sprang ich für sie ein. Beides kam jedoch öfter vor, als es die Abteilung erwartet hatte und mir recht sein konnte. So wandte ich mich an einen von der Abteilung zugelassenen Berater, und mein Arzt verschrieb mir Medikamente, die - zunächst jedenfalls - recht gut wirkten.
    Ich ging eine für beide Seiten angenehme Beziehung zu einer Polizeibeamtin ein und fand einige Aufmunterung darin wie umgekehrt wohl auch sie. Wir beschlossen, gemeinsam in Urlaub zu fahren, um Sonne zu tanken.
    Zumindest in meinem Fall war das dringend nötig. In letzter Zeit litt ich wieder unter schweren Alpträumen, die sich um ehemalige Gefangene drehten, vor allem um verstorbene. In dem Zustand, in dem wir sie nach Beendigung
des Verhörs zurückgelassen hatten, standen sie stumm und anklagend vor meinem Bett. Immer roch ich die Körperflüssigkeiten und manchmal auch die festen Ausscheidungen, zu denen die Befragten zu Beginn des Verhörs oder unter besonders hoher Belastung neigten. Wenn ich aufwachte, lag die verschwitzte Decke völlig verknäult zwischen meinen Beinen, und ich hatte Angst, ins Bett gemacht zu haben.
    Schon die Aussicht auf einen derart unangenehm unterbrochenen Schlaf war schlimm. Mein Doktor verschrieb mir weitere Tabletten, damit ich schlafen konnte. Auch ein Whisky kurz vorm Zubettgehen half.
    Ich könnte jetzt behaupten, dass ich eine Vorahnung hinsichtlich der Ereignisse am Flughafen hatte. In Wirklichkeit war es wohl bloß die Erinnerung an die Terroristen, die vor einigen Jahren den Flughafen gestürmt und mit den geraubten Waffen der Polizeiwachen blind in die Menge gefeuert hatten. Jedenfalls war ich erstaunlich nervös, als ich und meine Verlobte im Terminal ankamen. Schon seit Jahren war hier kein Anschlag mehr verübt worden, und niemand hatte eine Maschine zum Absturz gebracht, wenn auch in einigen Fällen nicht viel gefehlt hatte. Obwohl ich mir sagte, dass es keinen Grund zur Beunruhigung gab, zitterten meine Hände, als ich das Auto abschloss und den Gepäckwagen holte.
    Zum Teil lag meine Nervosität auch daran, dass ich mir seit einigen Jahren Sorgen machte, bei einem gesellschaftlichen Anlass oder in einer großen Menge plötzlich auf einen Exgefangenen zu stoßen, der mich angreifen, mich anschreien oder einfach stumm auf mich deuten würde, um alle auf seinen früheren Peiniger aufmerksam zu machen. Im Lauf der vergangenen gut zehn Jahre hatte ich Tausende von Menschen verhört, und bei weitem nicht
alle waren tot oder im Gefängnis. Hunderte von ihnen waren auf freiem Fuß, weil ihre Verfehlungen relativ geringfügig waren, weil sie die Freiheit durch Denunziationen erkauft hatten oder schlicht ein Opfer bösartiger Verleumdungen gewesen waren. Wenn ich nun einem von ihnen begegnete? Wenn er über mich herfiel oder mich vor anderen Leuten beschämte? Diese Befürchtung nagte seit einiger Zeit immer stärker an mir. Rein statistisch musste das irgendwann passieren.
    Dazu kam, dass ich inzwischen tatsächlich manchmal glaubte, solche Leute wiederzuerkennen. Ich bemühte mich, mir die Gesichter meiner Gefangenen nicht einmal flüchtig einzuprägen - wie mir meine Träume belegten, erwiesen sie sich ohnehin als unvergesslich. Trotzdem sah

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