Welten - Roman
dass er langsamer redet, zumindest anfangs. Auch der Zustand seiner Haut scheint sich in letzter Zeit gebessert zu haben. Das Bemühen um eine langsamere, deutlichere Aussprache kompensiert er offenbar durch größere Lautstärke und mehr Nachdruck. Außerdem gestikuliert er ziemlich viel, und sein Oberkörper bewegt sich dabei.Winzige Speichelspritzer fliegen in hohem Bogen aus seinem Mund auf die Bettdecke. Ich mache mir ein wenig Sorgen, dass etwas von dem Speichel in meinem Gesicht oder auf meinen Lippen landen könnte. Ich habe keine Lust, mir etwas einzufangen.
Stirnrunzelnd setze ich mich auf und verschränke die Arme, um mir die Hand vor den Mund legen zu können. Das sieht aus, als würde ich ihm konzentriert zuhören oder es zumindest versuchen, während ich mich in Wirklichkeit nur vor Keimen schützen will. Während er weiterplappert, setze ich eine schmerzvolle Miene auf und seufze tief, um ihm zu signalisieren, wie sehr ich mich bemühe, seine Äußerungen zu verstehen, doch leider vergeblich. Aber offenbar achtet er sowieso kaum auf mich und stößt nur seine maschinengewehrartigen Laute aus, zwischen denen ich höchstens ein Wort von zwanzig ausmachen kann.
Wenn ich mich stärker konzentrieren würde, würde ich vielleicht mehr begreifen. Dem Wenigen, das ich erkenne, entnehme ich, dass er sich beschwert, zum einen über einen anderen Patienten, der ihm angeblich etwas gestohlen, ihn beschimpft oder sich in einer Schlange vorgedrängt hat, oder alles drei, zum anderen über das Klinikpersonal, das entweder dafür verantwortlich ist, mit dem Übeltäter unter einer Decke steckt oder bewusst wegsieht, oder alles drei. Um ganz ehrlich zu sein, ist es mir auch
vollkommen gleichgültig. Er möchte einfach nur mit jemandem reden, möglichst mit jemandem, der in dieser läppischen Angelegenheit einen neutralen Standpunkt vertritt, und wahrscheinlich am liebsten auch noch mit jemandem, von dem nicht zu erwarten ist, dass er antwortet, passende Fragen stellt oder sich überhaupt um seine Belange kümmert. Er lädt nur seinen Frust bei mir ab. Und deprimierenderweise bin ich die ideale Zielscheibe dafür.
Sonderbar, dieser Wunsch zu reden und uns auszudrücken, selbst wenn wir wissen oder zumindest argwöhnen, dass der Gesprächspartner nicht zuhört, nichts begreift, nicht interessiert ist oder zumindest keine Abhilfe schaffen kann. Manche Menschen mögen einfach den Klang ihrer eigenen Stimme, und die meisten müssen sich gelegentlich Luft verschaffen und Druck abbauen. Manchmal müssen wir auch undeutliche, aber starke Gefühle artikulieren, um gegen ihre Verschwommenheit anzukämpfen und in diesem Akt mehr Klarheit über sie zu gewinnen. Ich vermute, dass die Erklärung bei dem schwadronierenden Dicken irgendwo zwischen der Verliebtheit in die eigene Stimme und dem Dampfablassen liegt.
Mit emphatischem Nicken verstummt er und lehnt sich zurück, die Hände auf den Knien. Anscheinend ist seine Ansprache gerade in eine entscheidende Phase getreten. Gespannt blickt er mich an, als würde er eine Antwort erwarten. Ich mache eine kreisförmige Bewegung mit dem Kopf, die zwischen Nicken und Schütteln liegt, und breite die Hände aus. Er scheint verärgert, und ich habe das Gefühl, etwas sagen zu müssen. Aber ich möchte nicht in seiner Sprache radebrechen, da ihn das nur ermutigen wird. Und ich darf auch nicht verraten, dass ich Sprachen beherrsche, die nicht von dieser Welt sind, selbst wenn
die Chance verschwindend gering ist, dass sich das nachteilig auf meine Anonymität und Sicherheit auswirken könnte.
So beschließe ich, irgendwelches Kauderwelsch zu erfinden: »Bre trel gesem patra noch, cho lisk escheldevone.« Die ganze Darbietung runde ich mit einem nachdrücklichen Nicken ab.
Mit weit aufgerissenen Augen prallt der Dicke zurück. Auch er nickt jetzt begeistert und stößt ein Sperrfeuer abgehackter Laute aus, von dem ich nichts verstehe. Er sieht aus, als hätte er meine Worte tatsächlich begriffen. Aber das ist ganz und gar unmöglich.
»Bloschven braggle sna korb leysin tre epeldevein aschk«, unterbreche ich ihn, als er Atem holt. »Kivould padal krey tre napastravodile eschestre chroom.« Ich zucke die Achseln. »Krivin.« Wieder gibt es ein betontes Nicken als Dreingabe.
Jetzt wackelt er so heftig mit dem Kopf, dass ich jeden Augenblick damit rechne, das Klappern seiner Zähne zu hören. Aufgeregt klatscht er sich auf die Knie. »Bla bla bla bla bla!« Natürlich sind es nicht diese
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