Weltenfresser - Die Tränen der Medusa (German Edition)
Ärger Luft zu machen. Sie fluchte so laut über die Torwachen, dass sich so mancher Passant nach ihnen umdrehte - nur mühsam gelang es Tyark, seine Gefährtin zu beruhigen.
Innerhalb der Stadtmauern war ein Gedränge, das Tyark zunächst überwältigte. Vor allem nach all der Zeit, die er in menschenleerer Natur verbracht hatte!
Von überall stürmten Gerüche und Geräusche auf ihn ein. Dutzende von Händlern hatten allein hinter dem Stadttor ihre Stände aufgebaut und boten Schmuck, wertlosen Plunder oder gebratenem Fleisch alles Mögliche an.
Tyark taumelte, als er stetig von irgendeinem Menschen angerempelt wurde, alle schienen es hier furchtbar eilig zu haben – nur langsam begriff er, dass dieses Gewimmel wohl nichts Ungewöhnliches in Lindburg war. Neben sich hörte er Zaja entnervt brummen: »Lass uns endlich Bruder Goswin aufsuchen. Es wird Zeit, einen schützenden Hafen anzulaufen...«
Sie fluchte, als die Leibgarde eines übergewichtigen Händlers sie unsanft anrempelte. »Ich hoffe, es geht ihm gut, er ist nicht mehr der Jüngste! Oh, bei den Großen Alten! Es kommt mir vor, als wäre ich Jahre weg gewesen, dabei sind es eigentlich nur wenige Wochen.«
Tyark stimmte ihr seufzend zu: Auch ihm kam es vor, als wäre er Wochen, wenn nicht Monate in den Riesengraten herumgestolpert. So war er sogar fast froh über den stechenden Gestank des Gerberviertels, in dessen Rand sich ein kleiner, heruntergekommen wirkender Tempel der Großen Alten duckte. Auch hier sah Tyark das Symbol des Ordens, allerdings in einfachem Holz und wieder schien es auf das Treiben unter sich zu blicken. Zaja wurde ganz aufgeregt, griff seine Hand und zog ihn hastig zum kleinen Tempel.
Sie fanden Goswin im kleinen und dunklen Altarraum des kleinen Tempels.
Ein weiteres, steinernes Zeichen der Großen Alten stand auf einem schlichten Felsenaltar - und davor kniete ein alter, aber zäh wirkender Bruder des Ordens. Er betete mit den geschlossenen Händen an der Stirn und Tyark hörte einzelne Wörter seines Gebetes. Tyark wunderte sich heimlich darüber, dass es neben der prächtigen Basilika diesen kleinen, doch etwas schäbig wirkenden alte Tempel überhaupt noch gab.
Neben sich hörte er Zaja eine vorsichtige Begrüßung rufen. Überrascht drehte sich der Alte nach ihnen um. Tyark blickte in ein faltiges, aber sehr freundliches Gesicht. Die wettergebräunte Haut des Bruders zeugte davon, dass er offensichtlich den Großteil seiner Zeit unter freiem Himmel zu verbringen pflegte. Sein Schädel war vollkommen kahl, wie es bei den Brüdern des Ordens üblich war, erst Recht bei Geweihten. Ein kurzer, grauer Bart verlieh Goswin etwas Würdiges, doch seine Augen waren hell und verrieten einen klaren und aufmerksamen Verstand. Die schlichte, dunkle Gewandung war wie die von Zaja, lediglich ein dickerer Bauchansatz zeichnete sich darunter ab und eine weiße Kordel war um die Hüfte gewickelt. Ein herzliches Lächeln erschien auf den faltigen Gesichtzügen. »Bei Ihrer Gnade! Zaja!«
Zaja lachte laut und stürmte auf ihren Mentor zu, während dieser sich mühsam aufrichtete. Dann fiel sie vor ihm auf die Knie und küsste unter Tränen seine ausgestreckte Hand, auf deren Rücken Tyark das Zeichen der Großen Alten erkennen konnte.
Gerührt nahm Goswin Zaja bei den Schultern und ließ sie aufstehen – dann umarmten beide sich lange, auch Goswin hatte einzelne Tränen in den Augenwinkeln.
Schließlich machte Zaja Goswin auf Tyark aufmerksam, der immer noch am Türrahmen lehnte und die Szene beobachtete. Mit einem leichten Hinken kam Goswin auf ihn zu und begrüßte ihn etwas formaler, aber ebenfalls sehr herzlich.
Mit Rührung in der Stimme sagte Goswin: »Willkommen! Willkommen zurück, wie schön, dass ihr es hierher geschafft! Den Großen Alten sei Dank!«
Später saßen sie alle zusammen in der karg, aber gemütlich eingerichteten Wohnstube, die direkt an den Altarraum angrenzte. Ein warmes Feuer knisterte im groben Kamin und Bruder Goswin hatte ihnen eine vorzügliche Hühnersuppe serviert, die beide zu seiner Zufriedenheit geradezu verschlungen hatten. Zum ersten Mal seit vielen Monaten spürte Tyark erstaunt das wohlige Gefühl endlich irgendwie zuhause angekommen zu sein.
Während des Essens hatte Zaja begonnen, die Erlebnisse der vergangenen Wochen zu schildern und schon bald war der frohe Ausdruck aus Goswins Gesicht verschwunden. Keiner von ihnen bemerkte das flammende, prachtvolle Rot, in dem die Sonne draußen
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