Weltenfresser - Die Tränen der Medusa (German Edition)
das Entsetzen in den Augen der Frauen, die sich so vergebens vor ihre schreienden Kinder warfen. Nur ein Alptraum.
So stand sie lange mit gesenktem Kopf und blutbesudelt im Hof und betrachtete mit leerem Blick die verdorbene Abtei.
Sie würde sie nicht betreten brauchen. Sie wusste, dass in diesem Alptraum ihre Schwester dort drinnen sein würde – nackt und mit obszön geöffneten Schenkeln, triefend vor Blut und Eingeweiden. Sitzend auf einem Thron aus Fleisch und Knochen. Flüsternde, nebelhafte Dunkelheit um sich. Gestalten wie Schatten, deren messerscharfe Klauen Fleisch zerrissen. Nichts Menschliches würde in diesem Gesicht liegen. In leeren Augenhöhlen nur triumphierende Finsternis. Eine Finsternis, so leer und doch angefüllt mit Bosheit, wie sie auch in dem unheilvollen Kubus zu lauern schien, der in ihrem Schoße liegen würde. Nur ein Alptraum.
So stand sie lange da. Als endlich kalter Regen fiel und in roten Bächen das Kloster verließ, kam ihre Schwester schließlich heraus. Zärtlich nahm diese die zitternde Hand der jungen Frau, streichelte liebevoll ihr langes, schwarzes Haar. Flüsterte, dass sie niemals mehr Angst zu haben brauchte. Niemals mehr.
Gemeinsam ließen sie den sterbenden Alptraum zurück, zu dem das Kloster geworden war. Die junge Frau wagte keinen Blick zurück.
Die alte Eiche im Hof reckte ihre knorrigen, verbrannten Äste in den roten Himmel. Niemals wieder könnte sie nach dem hier Geschehenen ergrünen. Der Baum starb in gnädigem Vergessen, wie auch die Mauern der Klosterruine stumm zu vergessen suchten. Nur der Regen weinte an diesem Grab aus Blut und Stein.
FEUER UND SCHATTEN
T yark schreckte aus dem Traum auf. Immer noch hörte er den Regen aus seinem Traum prasseln und sofort stieg Panik in ihm auf, dass der Traum vielleicht doch Wirklichkeit geworden war. Dann erkannte er über sich die Zeltbahn aus Leinen, auf welche der sanfte Spätsommerregen plätscherte. Mit tiefer Erleichterung legte er sich wieder hin und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.
Seine Träume wurden immer intensiver und Tyark meinte fast, das brennende, blutige Kloster noch riechen zu können. Dann verflog der Traum endgültig und Tyark blieb mit geöffneten Augen liegen. Er beruhigte sich langsam und genoss nun das sanfte Geräusch des Regens. Er konnte das Gras und die Erde unter ihm riechen - er spürte deutlich, wie sehr er die offenen Weiten des Landes vermisst hatte. Die Wälder, die Wiesen und die Flüsse. Hier war alles noch rein – in Lindburg hingegen roch es nur noch nach Menschen und ihrem Dreck.
Es war nun fünf Tage her, dass sie aus Lindburg aufgebrochen waren. Die Großen Alten waren ihnen gnädig gewesen und Tyark hatte zusammen mit Zaja jeden Abend eine kleine Messe veranstaltet. Zaja schien sich in normaler Wanderkleidung allerdings nicht so recht wohlzufühlen. Es war ihr anzumerken, wie sehr sie die einfache Kluft des Ordens vermisste. Aber es war einfach zu riskant, sofort als Ordensschwester erkannt zu werden – es würde nur unnötige Aufmerksamkeit erzeugen.
Auch wenn Tyark als Kind nur unregelmäßig zu den Großen Alten gebetet hatte, so war sei Glaube in letzter Zeit stärker geworden - vielleicht hatte auch Zaja einen gewissen Anteil daran. Er fand Trost in dem Gedanken, dass seine Götter einen Plan für ihn hatten, mochte dieser auch noch so undurchschaubar sein. Sein Schicksal lag in den gütigen Armen der Großen Alten.
Tyark dreht sich in seiner Decke um. Er lag weich auf einem Fell und trotz der eiskalten Nacht fühlte er sich wohl. Für einen Augenblick schaffte er es zu vergessen, was sie hierher geführt hatte.
In den Zelten neben ihm hörte er seine Gefährten schlafen, nur Raphael war wohl bereits dabei, seine Nachtwache mit dem Zubereiten des Frühstücks zu beenden, wie Tyark am leisen Geklappter des Kochgeschirrs hören konnte.
Der Kommandant hatte sie vor einigen Tagen beim Tempel abgeholt. Begleitet worden war er von einem gewaltigen Krieger, der Tyark um mindestens eine Haupteslänge überragte. Dieser trug neben einer furchteinflößenden Streitaxt, was Tyark bereits als untypisch für einen Krieger empfand, der im Dienste des Ordens stand, eine gewaltige Windenarmbrust. Der untere Teil des Gesichts verschwand fast vollständig in einem langen, zu sorgfältigen Zöpfen geflochtenen, feuerroten Bart. Der Krieger wurde Tyark als Rotbart vorgestellt und Tyark hatte gleich Abstand davon genommen, Anspielungen auf diesen Namen zu
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