Weltenfresser - Die Tränen der Medusa (German Edition)
schlug.
Tyark spürte instinktiv, dass sich in diesem Moment entscheiden würde, ob er weiterleben konnte oder von der Frau in Stücke gerissen würde.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie ihre wunderschönen Haare sich wie von selbst ineinander verdrehten und vereinigten. Einzelne dickte Strähnen richteten sich bereits wie von Geisterhand auf und bewegten sich schlängelnd auf ihn zu. Wie schwarze Schlangen.
Tyark blickte auf den schlafenden Mandolf und wusste, dass dies seine einzige Gelegenheit sein würde, seine Tat zu vollenden. Er flehte die Großen Alten um Hilfe an – und endlich gelang es ihm. Als ob er gegen einen starken Wind angehen müsse, riss er mühsam seinen Arm herunter. Der Dolch war bereit, sich in den Hals der Frau zu bohren. Doch kurz bevor die Waffe auf den Hals treffen sollte, geschah etwas Merkwürdiges. Ein schwarzer Schatten löste sich aus der Gestalt der Frau und schlug mit rasender Geschwindigkeit gegen die Klinge. Tyark hatte das Gefühl, seine Hand in Feuer zu tauchen. Tyark verfehlte sein Ziel knapp. Statt in den Hals einzudringen, streifte die Klinge des Dolches ihn nur.
Der Griff brannte in seiner Hand wie ein Stück glühender Kohle und mit einem Schmerzensschrei ließ Tyark die Waffe los.
Die Frau wich einen Schritt zurück. Ein dünnes Rinnsal aus Blut rann ihr den Hals herab. Es leuchtete, als sei es flüssiges Feuer. Sofort durchfluteten bizarre Schuldgefühlte Tyark. Er stöhnte auf.
Die Frau stand einfach nur da – und weil Tyark seinen Blick immer noch auf Mandolf gerichtet hielt, spürte er nur, dass sie ihn immer noch anblickte. Ein Blick, der voller Zuneigung war, Liebe, selbstverständlichem Verzeihen. Ein Blick, der ihn gnadenlos in die Ewigkeit ziehen würde. Die Frau stand einfach nur da. Noch bevor Tyark weitere Schritte überlegen konnte, nahm er wahr, dass dieses eigentümliche Rauschen wieder diese Welt erfüllte. Bald darauf spürte er erleichtert, wie sich das Zwielicht auflöste und er von dem silbernen Faden zurück in seinen Körper gezogen wurde.
Das letzte Bild war das der Frau , wie sie vorwurfsvoll und auf seltsame Weise neugierig einfach nur dort stand, den Körper unnatürlich verrenkt, die Arme grotesk verlängert, so dass die langen und dürren Finger fast bis auf den Boden reichten. Ihre schlangenhaften Haare waberten durch das kleine Zimmer.
Tyark schlug die Augen auf und blinzelte in das Licht des anbrechenden Morgens. Regen trommelte gegen das Dach der Hütte, instinktiv griff er nach dem Orechalkum-Pflänzchen, welches er seit dem ersten Traum in seiner Tasche mit sich herumtrug. Dabei bemerkte er, wie sehr seine Brust schmerzte. Er blickte auf seine Hand, die den Dolch getragen hatte – es war keine Brandwunde zuerkennen, im Gegenteil: Erst jetzt bemerkte er, dass er kein Gefühl in der Hand hatte. Sie war so kalt, als sei sie in Eiswasser getaucht gewesen! Er rieb sie mit schmerzverzerrtem Gesicht und nur langsam kehrte das Gefühl zurück.
Mühsam richtete er sich auf – und zuckte zusammen als er sah, dass Zaja ihn auf die Ellenbogen gestützt aufmerksam beobachtete. Eilig sagte er: »Zaja, du bist ja auch schon wach! Es regnet mal wieder...«
Er rang sich ein mühsames Lächeln ab. Zaja lächelte nur schwach zurück und fragte dann leise: »Wo bist du gewesen?«
Tyark fühlte sich wie ein ertappter Dieb, als er unbeholfen antwortete: »Ich? Was meinst du? Ich war die ganze Nacht hier! Ich habe direkt hier neben dir geschlafen? Was soll die Frage?«
Zaja machte keine Anstalten aufzustehen, sondern beobachtete ihn weiter mit ihren durchdringenden grünen Augen. Tyark wurde warm in der Brust.
»Wo bist du gewesen?«
Als Tyark sie achselzuckend anschaute sagte sie tadelnd: »Ich weiß, dass du die ganze Nacht neben mir gelegen hast. Und du weißt, dass ich nicht danach gefragt habe! Ich beobachte dich seit einiger Zeit, Tyark. Und ich bin ein sehr aufmerksamer Beobachter. Dein Körper mag hier gewesen sein - doch deine Seele... ich weiß nicht, ob deine Seele auch hier war. Und etwas ist mit dir gerade passiert. Kurz bevor du aufgewacht bist.«
Ihre Stimme klang jetzt fürsorglich, jede Strenge war aus ihr gewichten.
Tyark spürte, dass ihre Anteilnahme und Sorge von Grund auf ehrlich waren. Er konnte ihrem Blick nicht länger standhalten und richtete sich auf.
Schmerzen zuckten durch seine Brust – dort, wo ihn die Frau berührt hatte.
Er fragte sich, ob er ihren Handabdruck auf seiner Haut sehen könnte...
Er seufzte
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