Weltenfresser - Die Tränen der Medusa (German Edition)
kalt, so dass sie sich eng in ihre Wolldecken wickeln mussten. Der Himmel war klar und von der feurig untergehenden Sonne in leuchtende Farben getaucht. Nur am Horizont waren einige wenige Schleierwolken zu sehen.
Sorgenvoll musterte Jobdan den Abendhimmel über ihnen und sagte dann: »Es wird heute Nacht Regen geben, vielleicht sogar Sturm. Wir sollten unsere Zelte besser dort drüben in der Felsnische aufstellen und doppelt sichern.«
Erstaunt blickte Tyark ihn an und fragte: »Bist du sicher? Es scheint mir eine klare Nacht zu werden?«
Jobdan lächelte kurz und erklärte: »Glaube mir – das Wetter der Grate ist so unberechenbar wie die Grate selbst. Was eben noch eine dunkle Wolke am Horizont ist, kann nur wenig später ein Sturm sein, der mehrere Tage anhält und alles wegfegt, was nicht an einen Baum festgebunden ist! Und manchmal hilft auch das nicht mehr.«
Pereo stimmte ihm brummend zu: »Wir tun besser, was Jobdan sagt. Ich selbst habe als junger Kerl einen solchen Buran erlebt - den Atem der Riesen, wie wir hier dazu sagen. Stürme, die aus dem Nichts zu kommen scheinen. Ich habe damals zwei Tage frierend und nass in einer Höhle verbracht. Und bin froh, überhaupt noch am Leben zu sein.«
Tyark verzog immer noch ungläubig das Gesicht. Sein Blick schweifte über den fast wolkenlosen Horizont. Dann zuckte er mit den Achseln und half den anderen, das Lager besonders sorgfältig zu befestigen.
Die Sterne funkelnden bereits am dunklen Himmel, als sie ihr Lager so gesichert hatten, dass es sich eng an den Fels duckte. Tyark saß auf dem Felsplateau etwas abseits der anderen und beobachtete den Nachthimmel. Schon als kleines Kind war Tyark vom abendlichen Himmel fasziniert gewesen. Sein Großvater hatte ihm erzählt, die Götter persönlich hätten in ihren ewigen Kämpfen Löcher in das Firmament der Nacht geschlagen, durch welche dann das Licht der untergegangenen Sonne scheine. Der Glauben des Ordens hatte sich dann aber zunehmend auch im Süden durchgesetzt und die alten Götter waren verboten worden - und verschwanden auch langsam aus den Herzen der meisten Menschen. Er zuckte zusammen, als sich plötzlich Zaja zu ihm gesellte und leise sagte: »Eine klare Nacht, wie wunderbar. Die Blicke der Großen Alten sind klar zu erkennen und beobachten uns bei unseren Taten. Oh, sieh! Selbst die Halle der Gerechtigkeit ist heute gut zu erkennen.«
Sie zeigte auf eine Anordnung von Sternen am Himmel. Auf Tyark fragenden Blick antwortete sie: »Nach unserem Tode beurteilen die Großen Alten unser Leben und wie nah wir der Inneren Reinheit gekommen sind. Unwürdige Seelen werden zurück auf die Erde geschleudert und müssen in einem neuen Leben versuchen, durch weitere Erfahrungen und Taten den Zustand der inneren Reinheit zu erreichen. So lange, bis es ihnen gelingt. In der Halle der Gerechtigkeit wird die Seele gewogen und wandert dann, wenn sie denn würdig ist, zu einer der anderen Hallen – je nach den Taten des Lebens und natürlich dem Stand.«
Ihre Hand zeichnete andere Sternbilder nach. »Dort ist zum Beispiel die Halle der Könige, dieses eckige Bildnis ist die Halle der Krieger und diese Kreisanordnung ist die Halle des einfachen Volkes.«
Sie deutete auf ein kaum sichtbares Sternbild im Süden und erklärte: »Dort drüben ist die Halle der Erkenntnis. Uns ist nicht ganz klar, welchem Zweck genau sie dienen mag. Aber klar ist, dass nur Seelen dorthin gelangen, deren Grad innerer Reinheit so hoch ist, dass sie vielleicht sogar selbst zu einem Großen Alten werden könnten!«
Sie seufzte und fuhr dann fort: »Alle Brüder und Schwestern – ich eingeschlossen – wünschen sich, nach dem Tode dorthin zu gelangen. Es ist die höchste Stufe, die eine Seele erreichen kann.«
Sie legte ihre Hand auf Tyarks Schulter, wo sie scheinbar wenige Augenblicke länger als notwendig liegen blieb, und stand auf. »Ich bin müde, es war ein harter Marsch heute.«
Tyark nickte bloß und Zaja verschwand nach einem kurzen Nachtgruß an Pereo und Jobdan in ihrem Zelt.
Tyark saß noch eine Weile im kalten Wind der Berge und ging erst zur Ruhe, als er vor Kälte zitterte.
***
Eine wunderschöne, satte Sommerwiese erwuchs bis an den Rand eines urwüchsigen Waldes. Die Wipfel der uralten Bäume wiegten leicht im Wind, welcher kühl aus dem gewaltigen Gebirge hinter dem schier unendlichen Wald herunterwehte. An den schneebedeckten Gipfel brachen sich Wolken, massiv und ewig schienen die Felsen über dem Wald zu
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