WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
Orks
Werner Karl
Die beiden Kinder saßen zusammen in einem Bett und hingen gebannt an den Lippen ihres Großvaters. Sie liebten seine sonore Stimme, ganz besonders, wenn er ihnen vorlas. Er besaß unzählige Bücher, ihnen schon aus vielen vorgelesen und damit schon so manchen spannenden Abend beschert. Die Zeit, die ihnen von ihrer Mutter dafür zuge-standen wurde, hatten sie schon vor Monaten heimlich überschritten. Mit verschwörerischen Mienen und glücklichem Lächeln sanken sie am Ende einer Geschichte in ihre Betten und es dauerte nie lange, bis sie eingeschlafen waren.
Doch ein Buch war ihr unangefochtener Favorit. Leider war es so, dass ausgerechnet dieses Buch bei ihrer Mutter auf Ablehnung stieß. Als Claudia – die bis zu ihrem 18. Geburtstag noch Aerowynn im Pass stehen hatte, und ihr Bruder Robert den schönen Namen Eofer – ihren Vater dabei ertappte, dass er trotzdem aus diesem Buch Walter und Iris vorlas, hatten die Kinder noch lange den Streit zwischen den beiden Erwachsenen durch die verschlossene Tür hören können. Leise hatten sie darüber getuschelt, warum ihre Mutter gegen dieses Buch sein kön nte; schließlich waren Iris schon sieben und Walter acht Jahre alt. Und Orks, Elben und Drachen waren wirklich keine schrecklichen Monster, die kleine deutsche Kinder fraßen. OK, Drachen vielleicht doch.
Aber jetzt, während Großvater eine Stelle erreicht hatte, in der die neun Gefährten an einer besonders gefährlichen Stelle ihrer Reise angelangt waren, verschwendeten Iris und Walter keinen Gedanken an ihre Eltern, die wieder einmal ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen nac hgehen mussten.
Iris kuschelte sich eng an ihren Bruder, der wie sie mit kugelrunden Augen und gespitzten Ohren den Worten ihres Großvaters lauschte und besonders mit den kleinsten Helden der Geschichte zitterte.
Umringt von unzähligen, dazu noch hässlichen Feinden, die bis an die Zähne bewaffnet waren, in der Dunkelheit endloser Hallen und unterirdischer Schluchten gefangen, fast wie in einem Labyrinth, schien es kein Entkommen, keinen Ausweg zu geben. Und dann, als die Flucht über eine uralte steinerne Brücke und einen unendlichen und furchterregenden Abgrund in greifbarer Nähe schien, donnerten gewaltige Schritte durch die zahllosen Gänge und Höhlen des riesigen Gebirges. Die Feinde stockten und lauschten – wie die Kinder – auf die immer dunkler werdenden Laute. Ein schauriges Knistern und Prasseln näherte sich langsam aber unaufhaltsam. Gleichzeitig wurde die Finsternis vom flackernden Schein gelber und roter Lohen erleuchtet.
Die Stimme ihres Großvaters senkte sich um eine weitere Nuance, doch die Kinder nahmen dies nur unbewusst war. Sie sahen förmlich das Entsetzen in den Augen der Feinde, die wussten, was da auf sie zukam. Walter und Iris rissen ihre Augen noch weiter auf, als der A nführer der kleinen Gemeinschaft ein finsteres Gesicht machte, und die anderen mit unheilschwangerer Stimme aufforderte, sich zu beeilen.
Großvater hielt für einige Herzschläge an dieser Stelle mit seiner Erzä hlung inne und sein Gesicht schien sich in der Vorstellung der Kinder mit dem des Zauberers zu vermischen. Das flackernde Licht, der ebenfalls von Mutter verbotenen Kerzen, hatte keinen geringen Anteil an diesem Effekt. Dann las er weiter vor.
Mit rasenden Schritten und ebensolchen Herzen rannten die Neun über die Brücke.
Doch es war zu spät.
Ein furchterregender Dämon schälte sich mit Feuer und Flammen-schwert aus der lodernden und qualmenden Wolke und fauchte seine Bosheit den Fliehenden hinterher. Der Anführer der Gruppe blieb plötzlich auf der schmalen Brücke stehen, wandte sich dem Dämon zu, und nahm den Kampf gegen den übermächtigen Gegner auf.
Jeder Schlag der Kreatur und jede verzweifelte Abwehr des Zauberers verschaffte dem Rest der Gruppe einen kleinen Vorsprung. Magische Bannsprüche ausstoßend, kämpfte der Zauberer mit Waffen, die se inem Gegner glücklicherweise nicht zur Verfügung standen. Und schließlich zeigten die Beschwörungen Wirkung: Ein Teil der Stein-brücke zerbarst und stürzte in den Abgrund.
Und der Dämon mit ihm ...
Der Zauberer geriet ins Wanken und verlor ebenfalls den Halt. In allerletzter Sekunde konnte er sich an einem Rest der Steinbrücke festklammern. Seine Gefährten schrien erschrocken auf und wollten ihm zu Hilfe eilen, doch der Zauberer wusste, dass sie zu spät kommen würden. Die zweite Waffe des immer noch stürzenden
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