Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Weltraumpartisanen 23: Vargo-Faktor

Titel: Weltraumpartisanen 23: Vargo-Faktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Brandis
Vom Netzwerk:
der Säule trennte, und berührte den mit SCHLEUSE überschriebenen Knopf.
    Ein sanftes Zischen ließ sich vernehmen: die Schleuse fuhr auf.
    18.11.2084
----
    9.
    Der ereignisreichste Tag meines Lebens dauerte an.
    Zusammen mit den anderen ließ ich mir die feuchte, heiße Luft eines unerforschten Himmelskörpers ins Gesicht wehen. Es war, als stünde man auf dem Gipfel des Montblancs und überblickte von dort die Welt: Das Spiel mit den Dimensionen nahm immer verwirrendere Formen an. In der Welt, die ich vom Ausstieg betrachtete, bildete die Henri Dunant einen gewaltigen Mißton: groß, plump und ungeschlacht; ein Elefant im Legoland. Die Welt, mit der wir es zu tun hatten, war von unserem Format; oder aber, richtiger geschildert: Die Reduktion hatte uns auf ein den lokalen Verhältnissen entsprechendes Maß zurechtgestutzt. Einzig und allein der Umstand, daß die Reduktion des Schiffes wesentlich langsamer voranschritt, sorgte dafür, daß wir nicht vergaßen, woher wir kamen: von einem Planeten mit einem anderen Maßstab.
    Der Wind wirbelte eine Altpapierlawine auf. Sicher gab es in dieser fremden Welt auch Felder und Wiesen. Uns jedenfalls hatte das Schicksal eine versumpfte Mülldeponie als Landeplatz zugewiesen. Die nachgiebigen Müllberge hatten uns davor bewahrt, zu allem Übel auch noch schiffbrüchig zu werden. Die Landung war zwar etwas hart ausgefallen, doch das Schiff hatte den Aufprall überlebt, ohne Schaden zu nehmen.
    Die Deponie wurde offenbar nicht mehr benutzt. Zwischen dem Unrat hatten sich Bäume und Sträucher angesiedelt. Hier und da waren zwischen ihnen große Fischernetze gespannt: zu welchem Zweck, blieb vorerst schleierhaft. Manche der Netze flatterten im Wind, die meisten jedoch waren in gutem Zustand - so, als hätte man sie erst vor ein paar Stunden zum Trocknen aufgehängt.
    An die Deponie schlossen sich die Schlote und Kühltürme eines verfallen wirkenden Industriegeländes an. Aus irgendeinem Grunde fühlte sich mein Blick gezwungen, darauf zu verweilen. Vielleicht irritierte ihn die tödliche Erstarrung, die sich irgendwann all dieser Fabriken und Produktionsstätten bemächtigt hatte. Aus Hallen, Schuppen und Bürotürmen, die mit einem giftiggelben Schleier überzogen waren, starrten mich blinde Fenster an wie gebrochene Augen. Die Kräne standen still, die Schlote rauchten nicht.
    Erstarrung kennzeichnete auch die große Stadt, zu der dieser trostlose Vorort gehörte. Mein Blick wanderte über ausgestorbene Straßenschluchten und unbewegliche Gardinen. Die Architektur hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit der, wie sie vor hundert Jahren in den Industrieländern der Erde üblich gewesen war. Sie war funktionell und ohne jeden Reiz.
    Und über allem lag jenes graue Licht ohne Himmel, das mir schon aufgefallen war, als ich, aus der Ohnmacht erwachend, die Augen aufschlug: krankes Licht, das von irgendwoher kam, ohne daß man die Richtung bestimmen konnte.
    Das einzige Anzeichen von Leben war der flatternde Unrat. Das Papier stieg in Wirbeln hoch, fiel zurück und stieg wieder hoch: in einem monotonen, endlos währenden Karussell.
    Brandis brach das Schweigen, indem er sich an seinen Navigator wandte.
    „Wofür halten Sie das?"
    Stroganow trat einen Schritt vom Abgrund zurück.
    „Ich bin mir jetzt dessen völlig sicher, Sir, daß wir es mit einem dieser wandernden Kompaktplaneten zu tun haben, deren Existenz bisher lediglich vermutete wurde: Materie im Zustand großer Verdichtung. Die Zivilisation, die sich hierauf entwickeln konnte, war diesem Zustand, wie man sieht, angepaßt."
    Brandis neigte ein wenig den Kopf.
    „Mit anderen Worten", sagte er, „wir haben so etwas wie Glück im Unglück? Wir sind zwar ins Loch gefallen, aber das Loch erweist sich als nicht ganz so schwarz, wie ursprünglich befürchtet?"
    „So ist es, Sir. Wir haben alle Chancen zum Überleben."
    „Die haben wir", bestätigte Brandis, „die haben wir, weiß Gott. Nur dürfen wir jetzt nicht dazu übergehen, Däumchen zu drehen und auf ein Wunder zu warten."
    Er wandte sich an Lieutenant Levy: „Wie steht es mit Funkkontakten?"
    Levy schüttelte den Kopf.
    „Null, Sir. Empfang ja, aber raus geht nichts."
    Ich fragte mich, wo dann unsere Chance lag. Das Loch dachte nicht daran, uns freizugeben. Wie wenig unser Triebwerk ihm gewachsen war, hatten wir inzwischen weidlich erfahren. Eine neue Welle der Verzweiflung schlug über mir zusammen. Doch viel Zeit, mich selbst zu bemitleiden, war mir nicht gegeben.

Weitere Kostenlose Bücher