Weltraumpartisanen 29: Zeitspule
Lieutenant Levy bedauerte: »Sir, ich bekomme keine Antwort. Frage: Soll ich es auf dem Funkweg versuchen?«
Ich dachte an den Himmel voller Ohren. Die hatte er auch früher schon gehabt: die Ohren der Neugierigen, der Wißbegierigen, der Gelangweilten, auch die der zufälligen Zeugen. Inzwischen waren die Ohren der hungrigen Wölfe dazugekommen.
Bisher war P-kop, so sah es aus, ungeschoren geblieben. Allenfalls ein Expeditionsschiff verirrte sich in das entlegene Raumgebiet – und das war nicht die Zeit für Expeditionen. So war auch für die Wölfe kein Anlaß gegeben gewesen, sich in dieser Gegend umzutun.
»Danke«, entschied ich. »Unterlassen wir alles, was Aufsehen erregen könnte.«
Danach rief ich den Maschinenraum und bat um das Dingi.
Der Berg kam dem Propheten keinen Schritt entgegen. Dem Propheten blieb nur übrig, sich auf gut Glück auf die Socken zu machen.
Vor dem Bullauge nahm ich die Fahrt aus dem Dingi und blickte hinein.
Das Bild, das sich mir bot, hätte nicht friedlicher sein können.
Die alten Computer waren durch allerlei Elektronikblöcke undefinierbarer Bedeutung ersetzt worden. Die Mitte des kreisrunden Raumes war freigeblieben. Ein Projektor ließ darauf schließen, daß die Raummitte als TOTAL-Film-Arena diente. Auf der linken Seite wurde sie begrenzt durch ein halbrundes Kommandopult mit einer umfangreichen Klaviatur.
Der Mann, der davor saß und die Klaviatur bediente, war so in seine Arbeit vertieft, daß er kein einziges Mal in meine Richtung blickte.
Er war es. Ich hätte ihn auf Anhieb wiedererkannt. Vier Jahre meines Lebens hatte er mir mit seiner angewandten Philosophie die Hölle heiß gemacht.
Brandis, Sie denken immer noch, ein Kochtopf sei ein Kochtopf. Wann begreifen Sie endlich, daß der Kochtopf nichts anderes ist als die praktische, in diesem Fall materielle Verwirklichung einer philosophischen Erkenntnis …?
Der Mann am Pult war Spinni, war Professor Leo Smirnoff, mein alter Lehrer.
Auf der Anreise hatte ich nachgerechnet. Smirnoff mußte mittlerweile ein Mann an die Siebzig sein. Wie er da am Pult saß, konnte man ihn für einen Mittfünfziger halten.
Einsteins Zeitsprung? Gelegentlich hörte man davon. Bis zu einem gewissen Grad waren wir alle, die wir unseren Dienst unter den Sternen versahen, davon betroffen. Aber zu oft, um ihn wirklich ausleben zu können, kehrten wir heim in die alte irdische Gesetzmäßigkeit.
Freilich, wenn man dreizehn Jahre fast ununterbrochen in dieser Einöde verbrachte …
Noch einmal nahm ich Fahrt auf, quetschte das Dingi neben den Kutter und betrachtete die Schleuse. Auch sie war nicht die neueste.
Ich stieg aus, zog die Handspindel aus der Versenkung und kurbelte den Lukendeckel auf.
Auf der anderen Seite der Schleusenkammer war es warm und hell. Ich nahm den Helm ab und stieg aus der klobigen Raumgarnitur. Wozu den alten Herrn erschrecken? Ich brauchte sein Vertrauen.
Im Prinzip gleicht eine Plattform der anderen. Die großen, mehrstöckigen, sind in der Regel mit Aufzügen ausgestattet. Auf P-kop gab es diesen Luxus nicht. Vom Schleusen und Maschinendeck gelangte man über eine feuerfeste Wendeltreppe nach oben.
Ich gab mir keine Mühe, die Schritte zu dämpfen. Ohnehin wurden sie von einem immer lauter werdenden Dialog übertönt, der in einer der vielen Nebensprachen der EAAU geführt wurde: auf Französisch.
»Monsieur, Sie werden doch nicht so grausam sein, mir diesen kleinen Gefallen nicht erweisen zu wollen?!«
»Der kleine Gefallen, ma belle amie, stellt immerhin einen Wert von einer Million Livre dar und ist Volkseigentum!«
Ich erreichte das obere Ende der Treppe und blieb verblüfft stehen.
Auf das, was sich auf der vor wenigen Augenblicken noch leeren TOTAL-Film-Arena abspielte, war ich nicht gefaßt. War es Illusion? War es Wirklichkeit? Ich fühlte mich zurückversetzt ins späte 18. Jahrhundert. Zurückversetzt? Oder hatte die Vergangenheit wieder Gestalt angenommen? Was dort vor meinen Augen geschah, war keine projizierte Imitation, kein Film. Es war Wirklichkeit. Es geschah.
Smirnoffs Zeitspule war in Betrieb.
Bevor ich weiter den ungebetenen Zuschauer abgab, mußte ich mich bemerkbar machen.
»Guten Tag, Professor!«
Ob Spinni, ob Smirnoff – er mußte mich hören. Ich hatte es laut und deutlich gesagt. Und eigentlich hätte er mich auch längst gesehen haben müssen, denn sein Blick ging über die Arena hinweg in meine Richtung.
Ich versuchte es noch
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