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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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jetzt gehe ich bestimmt ins Lager zurück. Aber irgend etwas hielt ihn fest dort neben dem Baumstamm über der Straße. Es schneite immer heftiger, und Anselmo dachte: Wenn wir bloß heute nacht die Brücke sprengen könnten! In einer solchen Nacht wäre es ein Kinderspiel, die Posten zu überrumpeln und die Brücke zu sprengen, und dann wäre alles erledigt und vorbei. In einer solchen Nacht kann man tun, was man will.
 Dann stand er da, an den Baum gelehnt, stampfte leise mit den Füßen auf und dachte nicht mehr an die Brücke. Immer wenn es dunkel wurde, fühlte er sich einsam, und heute abend fühlte er sich so einsam, daß er innen ganz hohl war, wie von großem Hunger. Früher einmal konnte er dieses Gefühl der Einsamkeit dadurch bekämpfen, daß er Gebete hersagte, und oft, wenn er von der Jagd nach Hause kam, sagte er ein und dasselbe Gebet viele Male hintereinander her, und dann fühlte er sich gleich viel wohler. Aber seit dem Beginn der Bewegung hatte er nicht ein einziges Mal mehr gebetet. Die Gebete fehlten ihm, aber er meinte, es würde ungerecht und heuchlerisch von ihm sein, sie herzusagen, und er wollte keine Begünstigungen in Anspruch nehmen und keine andere Behandlung verlangen, als die Kameraden sie empfingen. Nein, dachte er, ich bin einsam. Aber alle Soldaten sind einsam, und die Frauen der Soldaten, und alle die, die ihre Familie oder ihre Eltern verloren haben. Ich habe keine Frau mehr, aber ich bin froh, daß sie vor der Bewegung gestorben ist. Sie hätte sie nicht verstanden. Ich habe keine Kinder, und ich werde nie welche haben. Einsam bin ich am Tag, wenn ich nichts zu tun habe, aber wenn die Dunkelheit fällt, dann kommt die Stunde der großen Einsamkeit. Aber eines habe ich, das kann kein Mensch und kein Gott mir nehmen, und das ist das, daß ich gut für die Republik gearbeitet habe. Ich habe fleißig für das Gute gearbeitet, an dem wir später einmal alle teilhaben sollen. Ich habe vom ersten Augenblick an mein Bestes getan, und ich habe nichts getan, dessen ich mich schämen müßte.
 Leid tut mir nur, daß getötet werden muß. Aber sicherlich wird man Gelegenheit haben, es abzubüßen, denn für eine solche Sünde, die so viele begehen, wird sicherlich eine gerechte Sühne erfunden werden. Ich möchte gern mit dem Inglés darüber reden, aber er ist jung, und da ist es möglich, daß er mich nicht versteht. Er ist selbst auf das Morden zu sprechen gekommen. Oder bin ich darauf zu sprechen gekommen? Er hat sicher schon viele Menschen umgebracht, aber er macht nicht den Eindruck, als ob er es gern täte. Die, die es gerne tun, die haben immer etwas Verkommenes an sich.
 Es muß wirklich eine große Sünde sein, dachte er, denn es ist wohl das einzige, wozu wir nicht berechtigt sind, auch wenn es, wie ich weiß, notwendig ist. Aber hier in Spanien geht es den Menschen zu leicht von der Hand, und oft tun sie's ohne Notwendigkeit, und es geschehen viele ungerechte Dinge, die hinterher nicht wiedergutzumachen sind. Wenn ich bloß nicht so viel darüber nachdenken würde, dachte er. Wenn es bloß eine Buße dafür gäbe, mit der man gleich anfangen könnte, denn das ist das einzige in meinem ganzen Leben, das mich bedrückt, wenn ich allein bin. Alles andere ist längst verziehen, oder man hat Gelegenheit gehabt, es durch Güte oder auf irgendeine anständige Weise wieder gutzumachen. Aber dieses Morden muß wohl eine sehr schwere Sünde sein, und ich würde sie gerne abbüßen. Vielleicht wird man später einmal an bestimmten Tagen für den Staat arbeiten oder irgend etwas Ähnliches tun, um die Sünde abzubüßen. Wahrscheinlich wird man etwas zu bezahlen haben wie in den Zeiten der Kirche, dachte er und lächelte. Die Kirche, die hat die Sünden gut organisiert. Dieser Gedanke machte ihm Spaß, er lächelte im Dunkeln vor sich hin, und da kam Robert Jordan zu ihm heran. Er kam ganz lautlos heran, und der Alte sah ihn erst, als er neben ihm stand. »¡Hola, viejo!« flüsterte Robert Jordan und klopfte ihm auf die Schulter. »Wie geht's dem Alten?«
 »Mir ist sehr kalt«, erwiderte Anselmo. Fernando war ein wenig abseits stehengeblieben, mit dem Rücken gegen den treibenden Schnee.
 »Komm!« flüsterte Robert Jordan. »Schnell ins Lager, damit du warm wirst. Es war eine Schweinerei, dich so lange hier sitzen zu lassen.«
 »Das dort ist ihr Licht«, und Anselmo zeigte auf das erleuchtete Fenster jenseits der Straße.
 »Wo ist der Wachtposten?«
 »Hinter der Biegung. Man

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