Wem die Stunde schlaegt
kann ihn von hier aus nicht sehen.«
»Hol sie der Teufel!« sagte Robert Jordan. »Du kannst mir das alles im Lager erzählen. Komm, schau dir's an«, sagte Anselmo.
»Ich werde es mir morgen früh anschauen«, sagte Robert Jordan. »Hier, nimm einen Schluck.«
Er reichte dem Alten seine Flasche. Anselmo setzte sie an die Lippen und trank. »Ayee«, sagte er und wischte sich den Mund ab. »Das reine Feuer.«
»Vorwärts!« sagte Robert Jordan im Dunkeln. »Gehen wir!«
Es war jetzt so finster, daß man nur die vorüberwehenden Schneeflocken sah und das starre Schwarz der Kiefernstämme. Fernando stand ein Stück weiter oben auf dem Hang. Schau dir diesen hölzernen Nußknacker an, dachte Robert Jordan. Ich werde ihm wohl auch ein Schlückchen anbieten müssen.
»He, Fernando!« sagte er, während er sich ihm näherte. »Auch ein Schlückchen?«
»Nein«, erwiderte Fernando. »Danke.«
Ich muß mich bedanken, dachte Robert Jordan. Ich bin froh, daß holzgeschnitzte Nußknacker nicht trinken. Es ist nicht mehr viel von dem Zeug da. Junge, wie ich mich freue, den Alten wiederzusehen, dachte Robert Jordan. Er sah Anselmo an und klopfte ihm auf die Schulter, während sie den Berg hinanzustapfen begannen.
»Ich freue mich, dich zu sehen, viejo«, sagte er zu Anselmo. »Wenn ich schlechter Laune bin und dich sehe, werde ich gleich wieder lustig. Vorwärts, steigen wir auf!«
Sie stapften bergan durch den Schnee.
»Zurück in Pablos Palast!« sagte Robert Jordan zu Anselmo. Im Spanischen klang das wunderschön.
»El Palacio del Miedo«, sagte Anselmo. »Der Palast der Furcht.«
»La cueva de los huevos perdidos«, sagte Robert Jordan fröhlich, den anderen übertrumpfend. »Die Höhle der verlorenen Eier.«
»Was für Eier?« fragte Fernando.
»Ein Spaß!« sagte Robert Jordan. »Nur ein Spaß. Nicht richtige Eier, weißt du. Die andern.«
»Warum sind sie denn verloren?« fragte Fernando. »Das weiß ich nicht«, sagte Robert Jordan. »Lies in einem Buch nach! Frag Pilar!« Dann legte er den Arm um Anselmos Schulter, drückte ihn im Gehen fest an sich und schüttelte ihn. »Hör mal«, sagte er. »Ich freue mich, dich zu sehen, hörst du? Du weißt nicht, was es bedeutet, in diesem Land jemand an der Stelle wiederzufinden, an der man ihn zurückgelassen hat.«
Daß er sich erlauben durfte, etwas gegen das Land zu sagen, war ein Beweis für das Vertrauen, das er genoß.
»Auch ich freue mich, dich zu sehen«, sagte Anselmo. »Aber ich wollte gerade weggehen.«
»Den Teufel wärst du weggegangen!« sagte Robert Jordan fröhlich. »Eher wärst du erfroren.«
»Wie sieht es aus?« fragte Anselmo.
»Fein«, erwiderte Robert Jordan. »Alles in bester Ordnung.«
Er war sehr glücklich, er empfand jenes plötzliche, seltene Glücksgefühl, das jeder erleben kann, der in einer revolutionären Armee ein Kommando führt: die beglückende Erkenntnis, daß eine der beiden Flanken standhält. Wenn einmal bei Gelegenheit beide Flanken standhalten sollten, würde man das gar nicht ertragen können, dachte er. Ich wüßte nicht, wer imstande wäre, das zu ertragen. Und wenn du an einer Flanke entlanggehst, an irgendeiner Flanke, dann reduziert sie sich schließlich auf einen einzigen Mann. Ja, auf einen einzigen Mann. Das war nicht das Axiom, das er suchte. Aber Anselmo ist wirklich ein tüchtiger Kerl. Ein tüchtiger Kerl. Du wirst meine linke Flanke bilden, wenn die Schlacht beginnt, dachte er. Aber das will ich dir lieber noch nicht mitteilen. Es wird eine verdammt kleine Schlacht werden, dachte er, aber eine verdammt schöne Schlacht. Na, ich habe mir ja immer gewünscht, einmal ganz auf eigene Faust eine Schlacht zu liefern. Ich hatte seit jeher ganz bestimmte Ansichten über die Fehler, die die anderen in ihren Schlachten begangen haben, angefangen bei der Schlacht von Agincourt. Und das muß nun eine schöne Schlacht werden. Klein, aber fein. Ja, wenn alles so läuft, wie ich vermute, wird es wirklich eine recht feine Schlacht werden. »Hör zu«, sagte er zu Anselmo. »Ich freue mich schrecklich, dich zu sehen.«
»Ich freue mich, dich zu sehen«, sagte der Alte.
Sie stiegen den Berg hinan, den Wind hatten sie im Rücken, der Schnee stob an ihnen vorüber, und Anselmo fühlte sich nicht mehr einsam. Seit der Inglés ihm auf die Schulter geklopft hatte, fühlte er sich nicht mehr einsam. Der Inglés war froh und zufrieden, und sie scherzten miteinander. Der Inglés sagte, daß alles
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