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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Sache verloren zu sein, die Italiener hatten bei Trijueque die Front durchbrochen, und wenn es ihnen gelungen wäre, die Straße Torija-Brihuega zu sperren, wäre die XII. Brigade abgeschnitten gewesen. »Aber da wir wußten, daß wir es mit Italienern zu tun hatten«, sagte Hans, »versuchten wir ein Manöver, das gegenüber einem anderen Feind unentschuldbar gewesen wäre. Und es glückte.«
 Hans hatte ihm auf seinen Terrainkarten alles ganz genau gezeigt. Er trug die Karten immer in seiner Aktentasche mit sich herum und schien aus dem Staunen und der Freude über das Wunder nicht herauszukommen. Hans war ein guter Soldat und ein guter Kamerad. Listers, Modestos und El Campesinos spanische Truppen hatten sich, wie Hans erzählte, sehr tapfer geschlagen; das war der Führung zu verdanken und der von ihr erzwungenen Disziplin. Aber Lister, El Campesino und Modesto hatten in sehr vielen Fällen von ihren russischen Ratgebern genaue Direktiven erhalten. Sie glichen Flugschülern, deren Maschine eine doppelte Steuerung hat, so daß der Pilot sofort eingreifen kann, wenn sie einen Fehler begehen. Ja, in diesem Jahr nun wird es sich zeigen, wieviel und wie gut sie gelernt haben. Noch ein Weilchen, und dann gibt es keine Doppelsteuerung mehr, und dann werden wir sehen, wieweit sie imstande sind, allein eine Division oder ein Armeekorps zu führen.
 Sie waren Kommunisten und strenge Zuchtmeister. Sie verstanden es, ihren Truppen Disziplin beizubringen. Lister war in dieser Beziehung von einer mörderischen Strenge. Er war ein richtiger Fanatiker und besaß in vollem Maße die Rücksichtslosigkeit des Spaniers; ein Menschenleben galt ihm nichts. Selten hat es seit den Hunnenkriegen eine Armee gegeben, in der Leute aus so geringfügigen Gründen so summarisch füsiliert wurden wie unter seinem Kommando. Aber er verstand es, eine Division zu einer Kampfeinheit zusammenzuschweißen. Es ist eine Sache, eine Stellung zu halten, es ist schon etwas anderes, die Stellung des Gegners anzugreifen und zu nehmen, und schließlich noch etwas ganz anderes, mit einer Armee auf dem Schlachtfeld zu manövrieren – dachte Robert Jordan, während er in Pablos Höhle am Tisch saß. Nach allem, was ich über Lister weiß, bin ich recht neugierig, wie er solche Aufgaben bewältigen wird, wenn erst einmal die Doppelsteuerung fortgefallen ist. Aber vielleicht wird sie gar nicht verschwinden, dachte er. Ob sie verschwinden wird? Oder ob sie noch stärker werden wird? Ich möchte eigentlich wissen, wie die Russen zu der ganzen Sache stehen? Das Gaylord ist der richtige Ort, dachte er. Vieles, was ich jetzt unbedingt wissen muß, kann ich nur im Gaylord erfahren. Früher einmal hatte er geglaubt, das Gaylord sei schädlich für ihn. Die Atmosphäre, die dort herrschte, war das genaue Gegenteil der kommunistischen Puritaneratmosphäre in Velázquez 63, dem Madrider Palais, das die internationalen Brigaden zu ihrem Hauptquartier gemacht hatten. In Velázquez 63 fühlte man sich wie der Angehörige eines religiösen Ordens. Im Gaylord war einem auch ganz anders zumute als etwa im Hauptquartier des 5. Regiments zu der Zeit, da das 5. Regiment noch nicht in die Brigaden der neuen Armee zerlegt worden war.
 An diesen beiden Orten hatte man das Gefühl, an einem Kreuzzug beteiligt zu sein. Das ist das einzige richtige Wort, wenn es auch bereits so abgegriffen ist und so oft mißbraucht wurde, daß es seinen wahren Sinn verloren hat. Man hatte trotz alles Bürokratismus, trotz aller Unfähigkeit und trotz aller Parteizänkereien eine ähnliche Empfindung, wie man sie als Konfirmand zuerst erwartet und nachher nicht erlebt hat, das Gefühl der Hingabe an eine heilige Pflicht gegenüber all den Unterdrückten der Welt, ein Gefühl, über das man ebenso ungern redet wie über ein religiöses Erlebnis und das doch genauso echt ist wie das Gefühl, das einen überkommt, wenn man Bach hört oder in der Kathedrale von Chartres oder von León steht und das Licht durch die großen Fenster hereinfallen sieht, oder wenn man im Prado Mantegna, Greco und Breughel betrachtet. Man war an einer Sache beteiligt, an die man von ganzem Herzen glauben konnte und in der man sich mit seinen Mitkämpfern brüderlich verbunden fühlte. Das ist etwas, das man vorher nicht gekannt hat und das einem jetzt so überaus wichtig geworden ist, der Grund dafür, daß einem der eigene Tod völlig unwichtig erscheint, als ein Ereignis, dem man nur deshalb zu entgehen wünscht, weil es

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