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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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einen an der Pflichterfüllung hindert. Aber das beste daran ist, daß man dieses Gefühl und diese Notwendigkeit nicht untätig hinnehmen muß. Man kann kämpfen. Du kämpfst also, dachte er. Und im Kampf verliert man sehr bald die Reinheit des Empfindens – wenn man am Leben bleibt und sich gut gehalten hat. Schon nach den ersten sechs Monaten.
 Solange es gilt, eine Stellung oder eine Stadt zu verteidigen, kann man sich jenes anfängliche Gefühl bewahren. So war es bei den Kämpfen in den Sierras gewesen. Dort hatten sie in der echten Kameradschaft der Revolution gekämpft. Als es sich dann nicht umgehen ließ, eine strengere Disziplin zu erzwingen, sah er's ein und war einverstanden. Im Granatenhagel erwiesen sich manche als feige und liefen davon. Er hatte zugesehen, wie man sie erschoß und die Leichen am Straßenrand verwesen ließ, und wie man sich gerade nur die Mühe machte, ihnen die Patronen und die Wertsachen abzunehmen. Daß man ihnen die Patronen, die Stiefel und die Lederjacken abnahm, war nur in der Ordnung. Daß man die Wertsachen nahm, entsprang mehr einer realistischen Erwägung; sonst hätten nämlich die Anarchisten sie sich geholt.
 Ihm erschien es gerecht, richtig und nötig, die Leute, die davonliefen, zu erschießen. Dagegen war nichts einzuwenden. Ihr Davonlaufen war reiner Egoismus. Die Faschisten hatten angegriffen, und wir hatten sie gestoppt, auf jenem Hang im grauen Gestein, im Krummholz und Ginster der GuadarramaBerge. Wir hatten uns längs der Straße gehalten, unter dem Luftbombardement und dem Granathagel ihrer Artillerie, die sie schließlich heranholten, und die, die den Tag überlebten, gingen zum Gegenangriff über und trieben den Feind zurück. Als sie dann später von links her durchzukommen versuchten, sich zwischen den Felsen und Bäumen vorwärts pirschend, verschanzten wir uns im Sanatorium, schossen aus den Fenstern und vom Dach, obwohl sie bereits auf beiden Seiten an uns vorübergezogen waren, und da erlebten wir, was es heißt, sich umzingelt zu sehen – bis schließlich der Gegenangriff der Unseren sie wieder hinter die Straße zurückwarf. Und da, in allem, was geschieht, in der Angst, die dir den Mund und die Kehle ausdörrt, in dem wirbelnden Gipsstaub und der jähen Panik einer berstenden Mauer, die unter dem Blitz und Donner einer krepierenden Granate einstürzt, wenn du das Maschinengewehr aus dem Schutt hervorgräbst und die Kameraden, die es bedient haben, beiseite zerrst und mit dem Gesicht nach unten im Staub liegst, den Kopf hinter dem Schutzschild, und dich bemühst, eine Ladehemmung zu beseitigen, den zerbrochenen Rahmen herausnimmst, den Gurt glattziehst und nun hinter dem Schild liegst und mit dem Maschinengewehr wieder den Straßenrand bestreichst, da tust du, was du zu tun hast, und weißt, daß du recht tust. Damals hast du die atemlose, durch Angst geläuterte und läuternde Ekstase des Kampfes erlebt, damals, in jenem Sommer und Herbst, hast du für alle Armen in der Welt gekämpft, gegen alle Tyrannei, für all das, woran du glaubst, und für die neue Welt, zu der man dich erzogen hat. Damals, in jenem Herbst, dachte er, hast du gelernt, durchzuhalten und dich über alle Leiden hinwegzusetzen, in den langen Wochen der Kälte und Nässe, im Schmutz der Gräben, beim Schippen und Buddeln. Und das Gefühl von damals, aus jenem Sommer und Herbst, liegt tief vergraben unter lauter Müdigkeit, Schläfrigkeit, Nervosität und Unbehagen. Aber es ist trotzdem vorhanden, und was du auch durchmachst, es wird immer stärker. Damals, dachte er, in jenen Tagen, da war ein tiefer, gesunder und selbstloser Stolz in dir – der, dachte er plötzlich, dich im Gaylord zu einem verdammt langweiligen Burschen gestempelt hätte. Nein, damals hättest du nicht sonderlich gut ins Gaylord gepaßt. Du warst zu naiv. Du befandest dich in einer Art Gnadenzustand. Aber vielleicht war auch das Gaylord damals nicht dasselbe wie heute. Nein, sagte er sich, es war wirklich nicht dasselbe. Keineswegs. Damals gab es keine Gaylords.
 Karkow hatte ihm von jenen Tagen erzählt. Damals wohnten die Russen, soweit welche da waren, im Palace Hotel, und Robert Jordan kannte keinen einzigen von ihnen. Das war noch, bevor die ersten Partisanengruppen gebildet wurden, bevor er Kaschkin und die anderen kennenlernte. Kaschkin befand sich im Norden, vor Irún, vor San Sebastián und bei dem mißlungenen Vormarsch auf Vitoria. Erst im Januar kam er nach Madrid, und während Robert Jordan

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