Wem die Stunde schlaegt
wäre, und wenn ich nur mit dabei wäre! In diesem Augenblick, als er gerade knietief im Ginster den steilen Abhang hinaufstieg, der zu den republikanischen Linien führte, flog zu seinen Füßen ein Rebhuhn auf, mit jäh losplatzendem, surrendem Flügelschlag im Dunkel der Nacht, und der Schreck verschlug ihm den Atem. Das macht die Plötzlichkeit, dachte er. Wie können sie bloß ihre Flügel so schnell bewegen? Wahrscheinlich ein Weibchen, das gerade brütet. Ich bin wahrscheinlich mit dem Fuß an das Nest angestoßen. Wenn nicht Krieg wäre, würde ich ein Taschentuch an den Busch binden und bei Tageslicht wiederkommen und das Nest ausnehmen, und dann könnte ich die Eier nehmen und sie einer Bruthenne unterlegen, und wenn sie dann ausschlüpfen, hätten wir kleine Rebhuhnküken auf dem Hühnerhof, und ich würde zuschauen, wie sie heranwachsen, und wenn sie herangewachsen sind, benütze ich sie als Lockvögel. Ich müßte sie nicht blenden, weil sie ja zahm sein würden. Oder glaubst du, sie würden wegfliegen? Möglich. Dann würde ich sie also doch blenden müssen.
Aber das möchte ich nicht gern tun, nachdem ich sie großgezüchtet habe. Ich könnte ihnen die Flügel stutzen oder sie an einem Bein festbinden, wenn ich sie zum Locken benütze. Wenn nicht Krieg wäre, würde ich mit Eladio zu dem Bach dort hinten bei dem faschistischen Posten gehen und Krebse fischen. Einmal haben wir an einem einzigen Tag vier Dutzend Krebse aus diesem Bach geholt. Wenn wir nach dieser Brückengeschichte in die Sierra de Gredos gehen, gibt es dort schöne Forellenbäche und Krebsbäche auch. Hoffentlich gehen wir in die Gredos, dachte er. Im Sommer und im Herbst lebt sich's gut in den Gredos, aber im Winter ist es schrecklich kalt. Aber bis zum Winter werden wir vielleicht den Krieg gewonnen haben. Wenn unser Vater kein Republikaner gewesen wäre, dann würden wir beide, Eladio und ich, jetzt bei den Faschisten dienen, und wenn man bei den Faschisten dient, gibt es gar keine Probleme. Man gehorcht den Befehlen, man bleibt am Leben, oder man stirbt, und zuletzt wird es so sein, wie es eben sein muß. Es ist leichter, unter einem Regime zu leben, als es zu bekämpfen.
Aber dieser Guerillakrieg ist eine sehr verantwortungsvolle Sache. Er bereitet einem viel Kopfzerbrechen, wenn man ein Mensch ist, der sich gerne den Kopf zerbricht. Eladio denkt mehr nach als ich. Er macht sich auch Sorgen. Ich glaube ehrlich an die Sache und mache mir keine Sorgen. Aber es ist ein sehr verantwortungsvolles Leben.
Ich finde, wir sind in einer sehr schwierigen Zeit zur Welt gekommen, dachte er. Wahrscheinlich ist es zu jeder anderen Zeit einfacher gewesen. Man leidet nur wenig, weil wir alle dazu geschaffen sind, Leiden zu ertragen. Wer leidet, paßt nicht in dieses Klima. Aber es ist eine Zeit schwieriger Entschlüsse. Die Faschisten haben uns angegriffen und uns die Entscheidung aus der Hand genommen. Wir kämpfen um unser Leben. Aber mir wär's lieber, ich könnte ein Taschentuch an diesen Busch dort hinten binden und bei Tageslicht wiederkommen und die Eier nehmen und sie einer Henne unterlegen und dann die Rebhuhnküken auf meinem eigenen Hühnerhof herumlaufen sehen. Ich habe Sehnsucht nach solchen kleinen und alltäglichen Dingen.
Aber, dachte er, du hast kein Haus und keinen Hühnerhof zu deinem Nichthaus. Du hast keine Angehörigen außer einem Bruder, der morgen in den Kampf geht, und du besitzt nichts als den Wind und die Sonne und einen leeren Magen. Der Wind ist zu dünn, dachte er, und die Sonne scheint nicht. Du hast vier Handgranaten in der Tasche, aber die sind gerade nur zum Wegschmeißen gut. Du hast einen Karabiner auf dem Rücken, aber der taugt nur zum Kugelstreuen. Du hast eine Depesche zu verschenken. Und du bist angefüllt mit Dreck, den du der Erde schenken kannst. Er grinste im Finstern. Du kannst ihn auch mit Urin salben. Alles, was du hast, ist nur zum Weggeben gut. Du bist ein philosophisches Phänomen und ein unglücklicher Mensch, sagte er sich und grinste wieder.
Aber trotz der edlen Gedanken, die er noch vor einer Weile gehegt hatte, erfüllte ihn jenes Gefühl der Erleichterung, das das Regengeräusch in seinem Dorf am Morgen der Fiesta in ihm zu erwecken pflegte. Vor ihm, auf der Höhe des Kammes, lagen nun die Stellungen der Regierungstruppen, und er wußte, dort würde er angehalten werden.
XXXV
Robert Jordan lag im Schlafsack neben Maria, die noch schlief. Er lag von ihr abgekehrt, er
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