Wem die Stunde schlaegt
In dem Staub und in der Hitze, in dem Geschrei und in dem Stier-, Menschen-und Weingestank war er einer der ersten gewesen, die sich auf den Stier hinaufschwangen, und er kannte das Gefühl, wenn der Stier unter ihm bockte und schaukelte und er auf dem Widerrist lag, den einen Arm um das dicke untere Ende des einen Hornes geschlungen und mit der Hand das andere Horn festhaltend, die Finger gewaltsam verkrampft, während sein Körper hin und her geschleudert wurde und er das Gefühl hatte, sein linker Arm würde ihm aus dem Gelenk gerissen, während er auf dem heißen, staubigen, struppigen, rüttelnden Muskelberg lag, die Zähne fest in das Ohr verbissen und sein Messer immer wieder und wieder in die schwellende, sich bäumende Wölbung des Nackens stieß, die nun seine Faust mit heißem Blut übersprudelte, wie er mit seinem ganzen Gewicht an dem hohen Schräghang des Widerristes hing und unaufhörlich auf den Nacken losstach, losstach, losstach... Als er das erste Mal so das Ohr des Stieres mit den Zähnen packte und nicht mehr losließ, Hals und Kinnbacken gestrafft in dem Schütteln und Rütteln, hatten sich nachher alle über ihn lustig gemacht. Aber obwohl sie ihn damit aufzogen, hatten sie doch großen Respekt vor ihm. Und nun mußte er es Jahr für Jahr wiederholen. Sie nannten ihn den Bulldog von Villaconejos und sagten im Scherz von ihm, er fresse die Rinder roh. Aber alle im Dorf freuten sich schon auf diesen Anblick, und jedes Jahr wußte er, daß der Stier zuerst herauskommen wird, dann auf die Leute losgehen und seine Hörner schütteln wird, und dann, wenn sie mit lautem Geschrei das Signal für den letzten Ansturm geben, wird er sich so hinstellen, daß er durch die Schar der Angreifenden hindurchstürmt und auf den Rücken des Stieres springt. Wenn dann alles vorbei ist und sie den Stier erledigt haben und er schließlich unter dem Gewicht der Schlächter tot zusammengebrochen ist, erhebt sich Andrés und geht weg, und er schämt sich wegen der Ohrengeschichte, aber er ist so stolz, wie man nicht stolzer sein kann. Und er zwängt sich zwischen den Karren hindurch, um sich im Springbrunnen die Hände zu waschen, erwachsene Männer klopfen ihm auf die Schulter und reichen ihm ihre Weinschläuche und sagen: »Ein Hurra für dich, Bulldog! Es lebe deine Mutter!« Oder sie sagten: »Das heißt ein Paar cojónes haben! Jahr um Jahr!«
Andrés schämte sich, er hat ein Gefühl der Leere, er ist stolz und glücklich, und er läßt sie alle stehen, wäscht sich die Hände und den rechten Arm und wäscht sorgfältig das Messer, nimmt dann einen der Weinschläuche, um den Ohrengeschmack für dieses Jahr aus dem Mund zu spülen, spuckt den ersten Schluck auf die Steinfliesen der Plaza, bevor er den Weinschlauch hochhebt und den Wein in die Gurgel sprudeln läßt.
Gewiß. Er war der Bulldog von Villaconejos, und um nichts in der Welt hätte er darauf verzichten wollen, Jahr für Jahr in seinem Dorf dieses Kunststück zu wiederholen. Aber er wußte, daß es nichts Schöneres gab als das Gefühl, das der prasselnde Regen in ihm erweckte, wenn er dann wußte, diesmal würde er sich's sparen können.
Aber ich muß zurück, sagte er sich. Keine Frage, daß ich zurück muß, um bei der Geschichte mit den Posten und der Brücke mit dabei zu sein. Mein Bruder Eladio ist auch mit dabei, mein eigen Fleisch und Blut. Und Anselmo, Primitivo, Fernando, Agustín, Rafael, wenn der auch freilich nicht ernst zu nehmen ist, dann die beiden Frauen, Pablo und der Inglés, obgleich der Inglés nicht mitzählt, weil er Ausländer ist und nur seine Befehle durchführt. Alle sind sie mit dabei. Nein, das geht nicht, daß mir durch einen zufälligen Botengang diese Prüfung erspart bleibt. Ich muß jetzt ganz schnell die Depesche abliefern und mich dann beeilen, um zu dem Angriff auf die Posten zurechtzukommen. Es wäre würdelos von mir, wegen eines zufälligen Botenganges an diesem Gefecht nicht teilzunehmen. Nichts klarer als das! Und außerdem, sagte er sich wie einer, dem plötzlich einfällt, daß ein Unternehmen, das er bisher nur von seiner beschwerlichen Seite her betrachtet hat, auch seine erfreulichen Seiten hat, außerdem wird es Spaß machen, ein paar Faschisten umzubringen. Es ist schon zu lange her, daß wir ihnen auf den Pelz gerückt sind. Das kann morgen ein sehr lebhafter Kampftag werden. Das kann morgen ein Tag des Handelns werden. Das kann morgen ein Tag werden, der sich verlohnt. Wenn es nur schon morgen
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