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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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er sehr litt. Er hielt beide Hände gegen die Lende gepreßt, hatte die Beine ausgestreckt und den Kopf gegen die Böschung gelehnt. Sein Gesicht war grau und schweißbedeckt.
 »Verlaßt mich jetzt, bitte, tut mir den Gefallen!« sagte er. Seine Augen schlossen sich vor Schmerz, seine Mundwinkel zuckten. »Ich fühle mich hier sehr wohl.«
 »Da!« sagte Primitivo. »Ein Gewehr und Patronen.«
 »Ist es mein Gewehr?« fragte Fernando mit geschlossenen Augen.
 »Nein, das hat Pilar«, sagte Primitivo. »Das ist meins.«
 »Ich hätte lieber mein eigenes«, sagte Fernando. »Ich bin daran gewöhnt.«
 »Ich werde es dir bringen«, sagte der Zigeuner, ihn anlügend. »Inzwischen behalte dieses da!«
 »Ich bin hier in einer sehr guten Position«, sagte Fernando. »Nach oben wie nach der Brücke hin.« Er öffnete die Augen, wandte den Kopf zu der Brücke hin, machte dann die Augen wieder zu, von jähen Schmerzen gepackt.
 Der Zigeuner klopfte sich an die Schläfe und gab Primitivo mit dem Daumen ein Zeichen, sich davonzumachen.
 »Dann werden wir dich holen kommen«, sagte Primitivo und kletterte hinter dem Zigeuner her, der sich sehr beeilte.
 Fernando lehnte an der Böschung. Vor ihm stand einer der weißgetüchten Steine, die den Straßenrand markierten. Sein Kopf lag im Schatten, aber die Sonne schien auf seine tamponierte und bandagierte Wunde und auf seine darübergedeckten Hände. Auch seine Beine und Füße waren in der Sonne. Das Gewehr lag neben ihm, und neben dem Gewehr blinkten drei Patronenmagazine im Sonnenschein. Eine Fliege kroch über seine Hand, aber das leise Kitzeln wurde durch die Schmerzen übertäubt.
 »Fernando!« rief Anselmo, der mit dem Draht in der Hand hinter seinem Stein hockte. Er hatte in das Drahtende eine Schlinge gemacht und sie fest zusammengedreht, so daß er sie in der Faust halten konnte.
 »Fernando!« rief er noch einmal.
 Fernando öffnete die Augen und blickte zu ihm hin.
 »Wie geht's?« fragte Fernando.
 »Sehr gut«, sagte Anselmo. »In der nächsten Minute werden wir sie sprengen.«
 »Das freut mich«, sagte Fernando. »Wenn du mich zu etwas brauchst, sag es mir.« Er schloß wieder die Augen, von Schmerzen durchzuckt.
 Anselmo blickte von ihm weg zur Brücke hin.
 Er wartete darauf, daß der Drahtknäuel über dem Rand der Brücke erscheinen würde und hinterdrein das sonnverbrannte Gesicht des Inglés, wie er sich hinaufschwingt. Gleichzeitig beobachtete er das andere Ende der Brücke, ob dort nicht etwas um die Straßenbiegung komme. Er empfand keinerlei Furcht, und er hatte sich den ganzen Tag über nicht gefürchtet. Es geht so schnell und verläuft so normal, dachte er. Den Posten zu erschießen war mir zuwider, und da hat sich in mir was gerührt, aber das ist jetzt vorüber. Wie konnte nur der Inglés behaupten, daß es dasselbe sei, ob man einen Menschen oder ob man ein Tier erschießt! Wenn ich auf die Jagd ging, hatte ich immer ein erhebendes Gefühl, nie fühlte ich mich im Unrecht. Aber einen Menschen erschießen – da hat man das Gefühl, daß man seinen eigenen Bruder schlägt, in erwachsenem Alter. Und mehrmals auf ihn schießen, um ihn ganz umzubringen! Nein, denk nicht daran! Das hat dich zu sehr aufgeregt, und du bist blubbernd wie ein altes Weib über die Brücke gelaufen. Das ist vorbei, sagte er sich, und du kannst ja versuchen, es abzubüßen genau wie alles andere. Aber jetzt hast du ja, was du dir gestern nacht gewünscht hast, als du über die Berge nach Hause gingst. Du bist im Kampf und zerbrichst dir nicht den Kopf. Wenn ich an diesem Morgen sterbe, ist alles gut.
 Dann sah er Fernando an, der an der Böschung lag, die Hände über der Leistengrube gefaltet, die Lippen blau, die Augen fest geschlossen, schwer und langsam atmend, und er dachte: Wenn ich sterben muß, möge es schnell gehen. Nein, ich habe gesagt, daß ich nichts weiter verlange, wenn mir geschenkt wird, was ich für den heutigen Tag brauche. Deshalb darf ich nichts mehr erbitten. Verstanden? Ich erbitte nichts. Ganz und gar nichts. Gib mir, worum ich gebeten habe, und alles andere überlasse ich deinem Belieben.
 Er lauschte dem Kampflärm, der aus der Ferne herüberwehte, und sagte zu sich selber: Das ist wirklich ein großer Tag. Ich muß einsehen und wissen, was für ein Tag das ist.
 Aber in seinem Herzen regte sich nichts, kein Triumph, keine Erregung. Das war alles verschwunden, und nichts als eine große Ruhe war in ihm. Und wie er jetzt hinter dem

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