Wem die Stunde schlaegt
Chausseestein hockte, die Drahtschlinge in der Hand, eine zweite Schlinge um das Handgelenk geschlungen, unter den Knien den Kies des Straßenrandes, war er gar nicht einsam, und er fühlte sich auch nicht allein. Er war eins mit dem Draht in seiner Hand und mit der Brücke und mit den Ladungen, die der Inglés placiert hatte. Er war eins mit dem Inglés, der immer noch unter der Brücke saß und arbeitete, eins mit der Schlacht und der Republik. Aber er war nicht im mindesten aufgeregt. Er war ganz ruhig, die Sonne brannte auf seinen Nacken und seine Schultern, und als er aus seiner gebückten Haltung aufblickte, sah er den hohen, wolkenlosen Himmel und den ragenden Berghang am anderen Ufer des Flusses, und er war nicht glücklich, aber auch nicht einsam und nicht ängstlich.
Oben am Hang lag Pilar hinter einem Baum und beobachtete die Straße, die vom Paß herunterkam. Sie hatte drei geladene Gewehre neben sich liegen und reichte eines davon Primitivo, als er sich neben ihr niederwarf.
»Dort hinunter!« sagte sie. »Hinter diesen Baum! Und du, Zigeuner, gehst dort hinüber!« Sie zeigte auf einen zweiten Baum ein Stück weiter unten am Hang. »Ist er tot?«
»Nein, noch nicht«, sagte Primitivo.
»Es war reines Pech«, sagte Pilar. »Wenn wir zwei Mann mehr gehabt hätten, hätte es nicht zu passieren brauchen. Er hatte um den Sägespänehaufen herumkriechen sollen. Ist er halbwegs gut untergebracht?«
Primitivo schüttelte den Kopf.
»Werden die Splitter bis hierher fliegen, wenn der Inglés die Brücke sprengt?« fragte der Zigeuner hinter seinem Baum hervor.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Pilar. »Aber Agustín mit der máquina ist näher dran als du. Der Inglés würde ihn dort nicht hingeschickt haben, wenn es zu nahe wäre.«
»Aber ich erinnere mich, als der Zug gesprengt wurde, flog die Laterne der Lokomotive über meinen Kopf weg, und Stahlsplitter sausten vorbei wie Schwalben.«
»Du hast poetische Erinnerungen«, sagte Pilar. »Wie Schwalben. ¡Joder! Sie waren so groß wie Waschkessel! Hör zu, Zigeuner, du hast dich heute brav gehalten. Laß dich jetzt nicht von deiner Angst einholen!« »Ich habe doch bloß gefragt, ob die Splitter bis hierher fliegen, damit ich mich hinter dem Baum versteckt halte.«
»Halt dich versteckt!« sagte Pilar. »Wie viele haben wir umgelegt?«
» Pues fünf wir selbst. Zwei hier. Siehst du nicht den zweiten dort drüben am anderen Ende? Schau, dort hinter der Brücke! Siehst du das Wachthaus? Schau! Siehst du?« Er streckte den Zeigefinger aus. »Ferner acht Stück unten für Pablo. Ich weiß, daß es acht sind, ich habe sie gezählt. Der Inglés wollte es wissen.«
Pilar brummte. Dann sagte sie in heftigem, wütendem Ton: »Was ist mit diesem Inglés los? Was sch... er dort unter der Brücke herum! ¡ Vaya mandanga! Will er eine Brücke sprengen oder will er eine bauen?«
Sie hob den Kopf und blickte zu Anselmo hinunter, der hinter dem Chausseestein hockte.
»He, viejo !« rief sie. »Was ist denn mit deinem besch... Inglés los?«
»Geduld, Frau!« rief Anselmo hinauf, den Draht locker, aber fest in der Hand haltend. »Er macht seine Arbeit fertig.«
»Aber warum, beim Namen der großen Hure, warum braucht er so lange?«
»¡Es muy concienzudo!« rief Anselmo. »Es ist eine wissenschaftliche Arbeit.«
»Ich – – – in die Milch der Wissenschaft!« sagte Pilar wütend zu dem Zigeuner. »Das Dreckgesicht soll endlich die Brücke sprengen, und Schluß damit. Maria!« schrie sie mit ihrer tiefen Stimme den Hang hinauf. »Dein Inglés –« , und sie erging sich in einem Schwall von schweinischen Bemerkungen über Jordans vermutliche Tätigkeit unter dem Brückenbogen.
»Beruhige dich, Weib!« rief Anselmo von der Straße herauf. »Er leistet eine enorme Arbeit. Er ist bald fertig.« »Hol's der Teufel!« tobte Pilar. »Auf die Schnelligkeit kommt es an!«
In diesem Augenblick ging unten an der Straße, wo Pablo den Posten hielt, den er erobert hatte, eine wilde Schießerei los. Sie hörten es alle. Pilar hörte zu fluchen auf und horchte. »Aha!« sagte sie. »Aha! Da haben wir's!«
Robert Jordan hörte die Schüsse, als er gerade mit der einen Hand den Drahtknäuel auf die Brücke hinaufwarf und dann hinterherkletterte. Während seine Knie auf dem eisernen Rand der Brücke ruhten und seine Hände im Staub der Straße, hörte er hinter der Straßenbiegung das Knattern eines Maschinengewehrs. Es klang anders als das
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