Wem die Stunde schlaegt
Jordan. »Schieß auf den oberen Rand eines Vorderreifens. Wenn du den Reifen verfehlst, wirst du den Motor treffen. Gut. Du schießt wie der Teufel. ¡Mujo! ¡Mujo! Schieß auf die Spitze des Kühlers. Auf den Kühler wohin auch immer! Du bist ein Meisterschütze. Paß auf: An dieser Stelle dort darf nichts vorüberkommen. Verstanden?«
»Schau zu, wie ich die Windschutzscheibe zerschieße!« sagte der Zigeuner fröhlich.
»Nein. Das Auto ist schon kaputt«, sagte Robert Jordan. »Spare deine Kugeln, bis irgend etwas die Straße herunterkommt. Sobald es die Höhe des Grabens erreicht hat, fängst du zu schießen an. Versuche den Fahrer zu treffen! Ihr müßt dann alle Feuer geben!« sagte er zu Pilar, die mit Primitivo den Hang heruntergekommen war. »Ihr habt hier eine ausgezeichnete Position. Siehst du, wie gut diese steile Wand deine Flanke schützt?«
»Geh schon endlich zu deinem Augustin!« sagte Pilar. »Hör auf, Vorträge zu halten! Ich habe auch schon mal Terrain gesehen.«
»Schick Primitivo ein Stück weiter hinauf«, sagte Robert Jordan. »Dorthin! Siehst du, Mann? Wo die Böschung steiler wird!«
»Laß mich in Frieden!« sagte Pilar. »Geh schon, Inglés ! Du mit deiner Perfektheit. Das hier ist gar kein Problem.«
In diesem Augenblick hörten sie die Flugzeuge. Maria war lange bei den Pferden gewesen, aber sie waren ihr kein Trost. Und auch sie konnte ihnen wenig Trost bieten. Sie konnte von hier aus weder die Straße sehen noch die Brücke, und als das Schießen losging, legte sie den Arm um den Hals des großen braunen Hengstes mit der weißen Stirn, den sie oft gestreichelt und gefüttert hatte, wenn die Pferde in dem Pferch zwischen den Bäumen unterhalb des Lagers grasten. Aber ihre Nervosität machte auch den großen Hengst nervös, er warf den Kopf zurück, blähte die Nüstern, beunruhigt durch das Geknatter und den Bombenlärm. Maria konnte nicht stillsitzen, sie ging umher, tätschelte und streichelte die Pferde und machte sie alle nur noch nervöser und aufgeregter.
Sie versuchte, dieses Schießen nicht bloß als irgendein schreckliches Geschehen aufzufassen, sondern sich klarzumachen, daß das Pablo war mit den neuen Leuten und Pilar mit ihrem Trupp und daß sie nicht unruhig werden und nicht in Panik geraten dürfe, sondern Vertrauen zu Roberto haben müsse. Aber es gelang ihr nicht, und das Geknalle oberhalb und unterhalb der Brücke, der ferne Kampflärm, der mit einem trockenen, rollenden Prasseln vom Paß herüberwehte wie das Echo eines fernen Sturmwindes, das unregelmäßige Pochen der Bomben, das alles war einfach fürchterlich und verschlug ihr fast den Atem.
Einige Zeit später hörte sie dann Pilars laute Stimme ihr von unten her irgendwelche gemeinen Flüche zurufen, die sie nicht verstehen konnte, und sie dachte: O Gott, nein, nein! Sprich nicht so, während er in Gefahr ist! Nur nicht jemanden beleidigen und eine überflüssige Gefahr heraufbeschwören! Nur nicht herausfordern!
Dann begann sie für Roberto zu beten, schnell und automatisch, wie sie in der Schule gebetet hatte, sie sagte die Gebete her, so schnell sie nur konnte, und zählte sie an den Fingern ihrer linken Hand ab, immer je zehn von jedem der beiden Gebete, die sie hersagte. Dann flog die Brücke in die Luft, und das eine Pferd zerriß den Halfter, wie es sich bei dem prasselnden Getöse aufbäumte und den Kopf zurückwarf, und preschte durch die Bäume davon. Maria gelang es schließlich, den Gaul wieder einzufangen, er zitterte am ganzen Leibe, seine Brust war dunkel verschwitzt, der Sattel verrutscht, und als sie mit ihm durch den Wald zurückkam, hörte sie unten Schüsse fallen und dachte, ich kann das nicht länger ertragen. Ich kann nicht weiterleben, ohne zu wissen, was los ist. Ich kann nicht atmen, und mein Mund ist so trocken. Und ich habe Angst, und ich tauge zu gar nichts, und ich erschrecke die Pferde, und dieses Pferd habe ich nur zufällig wieder eingefangen, weil es mit dem Sattel an einem Baumstamm hängenblieb und sich mit den Beinen in den Steigbügeln verhaspelte, und wenn ich ihm jetzt wieder den Sattel auflege, o Gott, ich weiß nicht! Ich kann es nicht aushaken. Oh, bitte, gib daß ihm nichts geschehen ist, denn mein ganzes Herz und mein ganzes Sein ist bei der Brücke. Die Republik ist eine Sache für sich – daß wir siegen müssen, ist eine Sache für sich. Aber, oh, heilige Jungfrau Maria, führe ihn zu mir zurück, und ich werde immer alles tun, was du
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