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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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vielleicht trotzdem sehen, aber sie natürlich für eigene Kavalleriegäule halten. Dann kam ein noch lauteres Dröhnen, und drei weitere Heinkel 111 tauchten auf, in steilem, präzisem Flug, noch tiefer als die anderen, flogen in starrer Formation über die Lichtung, das dampfende Getöse näherte sich crescendo dem Absolutum des Lärms, wurde schwächer und entschwand.
 Robert Jordan wickelte das Kleiderbündel auf, das ihm als Kissen gedient hatte, und zog sein Hemd an. Er war gerade dabei, es über den Kopf zu ziehen, als er die nächsten Flugzeuge kommen hörte, und er zog im Schlafsack die Hose an und lag ganz still, während drei weitere zweimotorige Heinkel-Bomber über ihn hinwegflogen. Noch bevor sie hinter dem Berghang verschwunden waren, hatte er seine Pistole umgeschnallt, den Schlafsack zusammengerollt und zwischen die Felsen geschoben, und nun saß er da, dicht unter den Felsen, seine Schuhe zuknöpfend, als ein heranrollendes Dröhnen zu noch lauterem Getöse anwuchs als zuvor und neun weitere leichte Heinkel-Bomber in Staffeln heranrückten, den Himmel entzweihämmernd. Robert Jordan schlich sich an der Felswand entlang zum Eingang der Höhle. Pablo, einer der Brüder, der Zigeuner, Anselmo, Agustín und die Frau standen im Eingang und blickten zum Himmel.
 »Sind schon mal solche Flugzeuge hier gewesen?« fragte er.
 »Noch nie«, sagte Pablo. »Geh hinein. Sie werden dich sehen.«
 Die Sonne hatte noch nicht den Eingang der Höhle erreicht. Sie schien jetzt gerade auf die Wiese neben dem Fluß, und Robert Jordan wußte, daß man ihn nicht sehen konnte, weder ihn noch die anderen, in dem dunklen, morgendlichen Schatten der Bäume und dem massigen Schatten des Gesteins; aber er ging in die Höhle, um die anderen nicht nervös zu machen.
 »Es sind viele«, sagte die Frau.
 »Es werden noch mehr werden«, sagte Robert Jordan.
 »Woher weißt du das?« fragte Pablo argwöhnisch.
 »Diese da, die wir eben gesehen haben, werden von Jagdflugzeugen begleitet sein.«
 Gerade in diesem Augenblick hörten sie aus größerer Höhe ein winselndes Geräusch, und als die Flugzeuge in einer Höhe von etwa sechzehnhundert Meter vorbeiflogen, zählte Robert Jordan fünfzehn Fiats in einer Staffel von Staffeln, wie ein Zug von Wildgänsen in V-förmiger Formation. Die Gesichter im Höhleneingang sahen alle ernst aus, und Robert Jordan sagte: »Ihr habt noch nie so viele Flugzeuge gesehen?«
 »Noch nie«, erwiderte Pablo.
 »In Segovia sind nicht sehr viele?«
 »Es sind nie viele dort gewesen, wir haben fast immer nur drei gesehen. Manchmal sechs Jäger. Vielleicht drei Junkers, die großen mit den drei Motoren, und die Jäger dabei. Noch nie haben wir solche Flugzeuge gesehen.«
 Das ist schlimm, dachte Robert Jordan. Das ist wirklich schlimm. Diese Anhäufung von Flugzeugen bedeutet nichts Gutes. Ich muß horchen, wann sie ihre Bomben abschmeißen. Aber nein, unsere Truppen können noch nicht zum Angriff aufmarschiert sein. Nicht vor heute nacht oder vor morgen nacht, sicherlich jetzt noch nicht. Sicherlich werden sie nicht zu dieser Tageszeit marschieren.
 Immer noch hörte er das davoneilende Dröhnen. Er schaute auf seine Taschenuhr. Jetzt müßten sie über der Front sein, zumindest die ersten. Er drückte auf den Knopf, der den Sekundenzeiger auslöste, und er beobachtete, wie der Zeiger die Runde machte. Nein, vielleicht jetzt noch nicht. Aber jetzt. Ja. Jetzt müssen sie über der Front sein. Vierhundert Kilometer in der Stunde, zumindest die Hundertelfer. In fünf Minuten müssen sie dort sein. Jetzt sind sie schon ziemlich weit hinter dem Paß, und unter ihnen liegt Kastilien, gelblich, bräunlich im Morgenlicht, von weißen Straßen durchzogen, mit kleinen Dörfern übersät, und die Schatten der Heinkels gleiten über das Land, wie die Schatten der Haifische über den sandigen Meerboden gleiten.
 Und noch immer nicht das bum-bum-bummernde Platzen der Bomben. Die Uhr tickte weiter.
 Sie fliegen wohl nach Colmenar, zum Escorial, dachte er, oder zum Flugfeld von Manzanares el Real, mit dem alten Schloß über dem See, mit den Enten im Schilf und dem falschen Flugplatz gleich hinter dem richtigen, mit den Flugzeugattrappen, die nicht ganz versteckt sind und deren Propeller im Winde kreisen. Das muß ihr Ziel sein. Sie können nichts von dem Angriff wissen, sagte er zu sich selber, und dann sagte eine Stimme in ihm: Warum können sie nicht? Sie haben bisher noch jedesmal Bescheid gewußt.

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