Wem die Stunde schlaegt
von Frauen versteht! Weißt du, wie einer häßlichen Frau zumute ist? Weißt du, was es heißt, sein Leben lang häßlich zu sein und innen drin das Gefühl zu haben, daß man schön ist? Das ist sehr sonderbar.« Sie streckte nun auch den anderen Fuß ins Wasser und zog ihn wieder zurück. »Mein Gott, ist das kalt! Schau, die Bachstelze!« sagte sie und zeigte auf den grauen Federball, der auf einem Stein mitten im Bach auf und nieder wippte. »Die taugen zu gar nichts. Weder zum Singen noch zum Essen. Können bloß mit dem Schwanz auf und ab wippen. Gib mir eine Zigarette, Inglés!« Sie nahm die Zigarette, holte aus der Tasche des Hemdes Stahl und Feuerstein hervor und zündete die Zigarette an. Paffend betrachtete sie Maria und Robert Jordan. »Das Leben ist sehr kurios«, sagte sie und blies den Rauch aus der Nase. »Aus mir wäre ein tüchtiger Mann geworden, aber ich bin ganz Weib und ganz häßlich. Aber viele Männer haben mich geliebt, und ich habe viele Männer geliebt. Es ist kurios. Hör zu, Inglésl Das ist interessant. Schau mich an, so häßlich wie ich bin! Schau mich genau an, Inglés!«
»Du bist nicht häßlich.«
» Qué no? Lüg mich nicht an! Oder?« Sie lachte ihr tiefes Lachen. »Hat es bei dir schon zu wirken angefangen? Nein. Das ist nur Spaß. Nein. Schau meine Häßlichkeit an. Aber man hat ein Gefühl in sich, das macht den Mann blind, solange er einen liebt. Mit diesem Gefühl macht man ihn und sich selber blind. Dann eines Tages, ohne jeden Grund, sieht er dich so häßlich, wie du wirklich bist, und er ist nicht mehr blind, und dann siehst du dich selber so häßlich, wie er dich sieht, und du verlierst den Mann und dein Gefühl. Verstehst du das, guapa? « Sie klopfte dem Mädchen auf die Schulter.
»Nein«, sagte Maria. »Denn du bist nicht häßlich.«
»Versuche deinen Kopf zu gebrauchen und nicht dein Herz, und hör zu«, sagte Pilar. »Ich erzähle sehr interessante Dinge. Interessiert es dich nicht, Inglés?« »Doch. Aber wir müssen gehen.«
» Qué va, geh! Ich sitze hier sehr gut. Also!« fuhr sie fort und wandte sich nun an Robert Jordan, als ob sie zu einer ganzen Schulklasse redete, fast als ob sie einen Vortrag hielte. »Nach einer Weile, wenn man so häßlich ist wie ich, so häßlich, wie eine Frau nur sein kann, dann, wie gesagt, nach einer Weile wächst wieder in einem das Gefühl heran, das idiotische Gefühl, daß man schön ist. Es wächst wie ein Kohlkopf. Und dann, wenn das Gefühl herangewachsen ist, dann sieht einen ein Mann und glaubt, daß man schön ist, und es fängt alles wieder von vorne an. Jetzt, glaube ich, bin ich darüber weg. Aber es kann immer wieder passieren. Du hast Glück, guapa, daß du nicht häßlich bist.«
»Aber ich bin häßlich«, behauptete Maria.
»Frag ihn«, sagte Pilar. »Steck nicht die Füße ins Wasser, du wirst sie dir erfrieren.«
»Wenn Roberto sagt, wir müssen gehen, dann, glaube ich, müssen wir gehen.«
»Hör dir das an!« sagte Pilar. »Für mich steht hier ebensoviel auf dem Spiel wie für deinen Roberto, und ich sage dir, daß wir hier sehr gut sitzen, hier am Bachufer, und daß wir genug Zeit haben. Außerdem rede ich gern. Es ist das einzige Zivilisierte, was wir hier haben. Wie sollen wir uns sonst amüsieren? Interessiert dich nicht, was ich sage, Inglés?«
»Du sprichst sehr gut. Aber es gibt Dinge, die mich mehr interessieren als ein Gespräch über Schönheit oder Mangel an Schönheit.«
»Dann wollen wir über das reden, was dich interessiert.«
»Wo warst du zu Beginn der Bewegung?«
»In meiner Heimatstadt.«
»Ávila?« » Qué va, Ávila.«
»Pablo sagt, daß er aus Ávila stammt.«
»Er lügt. Er möchte gern aus einer großen Stadt stammen. Seine Heimatstadt ist –« Und sie nannte einen Namen.
»Und was hat sich dort abgespielt?«
»Vieles«, sagte die Frau. »Vieles. Und alles war häßlich. Auch das Ruhmvolle.«
»Erzähle!« sagte Robert Jordan.
»Es ist zu brutal. Ich möchte es nicht vor dem Mädchen erzählen.«
»Erzähle!« sagte Robert Jordan. »Und wenn es nicht für sie ist, soll sie nicht hinhören.«
»Ich kann es ruhig hören«, sagte Maria. Sie legte die Hand auf Robert Jordans Hand. »Es gibt nichts, das ich nicht hören könnte.«
»Es handelt sich nicht darum, ob du es hören kannst«, sagte Pilar, »sondern es handelt sich darum, ob ich es dir erzählen soll. Du wirst schlecht träumen.«
»Ich werde nicht schlecht träumen,
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