Wen der Rabe ruft (German Edition)
Messgerät war dunkel geworden. Er hockte sich hin und hielt die freie Hand über das Wasser, die Finger weit gespreizt, Millimeter über der Oberfläche. Das Wasser darunter begann sich zu bewegen und verdunkelte sich und Blue begriff, dass dort Tausende winziger Fische schwammen. Sie blitzten erst silbern auf und wirkten dann schwarz, als sie dem schwachen Schatten seiner Hand folgten.
»Wie können denn hier Fische sein?«, fragte Adam.
Das Bächlein, das sie in den Wald geführt hatte, war viel zu flach für Fische, und der Weiher schien aus dem Regen entstanden zu sein, der über den Bergen niederging. Fische fielen nicht vom Himmel.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Gansey.
Die Fische wimmelten und schwärmten durcheinander wie winzige Rätsel in unendlicher Bewegung. Wieder meinte Blue, Musik zu hören, doch als sie Adam ansah, dachte sie, dass es vielleicht nur sein Atem gewesen war.
Gansey blickte zu ihnen auf und sie sah ihm an, wie sehr er diesen Ort jetzt schon liebte. Sein unverstellter Gesichtsausdruck beinhaltete etwas völlig Neues: weder das schiere Entzücken, die Ley-Linie gefunden zu haben, noch das verschmitzte Vergnügen, wenn er Blue aufzog. Sie erkannte das seltsame Glück, das einen durchströmte, wenn man etwas liebte, ohne zu wissen, warum; dieses seltsame Glück, das manchmal so groß war, dass es sich wie Traurigkeit anfühlte. Genauso ging es ihr, wenn sie zu den Sternen hinaufsah.
Und plötzlich war er dem Gansey, den sie vom Kirchhof kannte, ein Stück näher und sie ertrug es nicht mehr, ihn anzusehen.
Sie löste ihre Hand aus Adams und ging zu der Buche, neben der Gansey stand. Vorsichtig kletterte sie über das frei liegende Wurzelgeflecht und legte die Hand auf die glatte graue Rinde des Baumes. Wie die der Buche hinter ihrem Haus fühlte sich auch diese winterlich kalt und eigenartig tröstlich an.
»Adam.« Das war Ronans Stimme und sie hörte, wie sich Adams Schritte langsam und vorsichtig am Ufer entlang in seine Richtung bewegten. Das Geräusch knackender Äste wurde leiser, je weiter er sich von ihr entfernte.
»Ich glaube nicht, dass diese Fische echt sind«, sagte Gansey leise.
Das war eine so lächerliche Bemerkung, dass Blue sich zu ihm umdrehen musste. Er wiegte den Kopf hin und her, während er ins Wasser starrte.
»Ich glaube, sie sind nur hier, weil ich fand, sie müssten es sein«, fügte er hinzu.
»Okay, Gott «, erwiderte Blue sarkastisch.
Wieder bewegte er die Hand und sie sah die Fische erneut durchs Wasser huschen. Zögerlich fragte er: »Bei der Sitzung, was hat die eine Frau da noch mal gesagt? Die mit den vielen Haaren? Sie meinte, es ginge um Impression – nein, Intention.«
»Persephone. Aber das mit der Intention gilt nur fürs Kartenlegen«, sagte Blue. »Wenn man jemandem bei einer hellseherischen Sitzung Einlass in seinen Kopf gewähren will, um Muster in der Zukunft und der Vergangenheit zu erkennen. Nicht für Fische. Wie soll das denn bei einem Fisch auch funktionieren? Leben ist nicht verhandelbar.«
Er fragte: »Welche Farbe hatten die Fische, als wir hier angekommen sind?«
Sie waren schwarz-silbern gewesen oder zumindest hatten sie unter der Oberfläche so ausgesehen. Gansey, da war sie sich sicher, suchte hartnäckig nach Anzeichen unerklärlicher Magie, aber so leicht würde sie sich nicht überzeugen lassen. Blau und Braun sahen je nach Lichteinfall schnell wie Schwarz und Silber aus. Dennoch kniete sie sich neben ihn in die feuchte Erde neben dem Weiher. Die Fische verharrten dunkel und schwer erkennbar unter seiner Hand.
»Als ich sie beobachtet und mich gefragt habe, wie sie wohl hierhergekommen sind, ist mir eine Forellenart eingefallen, die oft in kleineren Bächen lebt«, sagte Gansey. »Wilde Bachforellen heißen die, glaube ich. Ich dachte mir, hey, das könnte ein bisschen wahrscheinlicher sein. Dass sie vielleicht irgendwie durch Menschenhand in diesen Weiher gelangt sind oder durch einen anderen weiter stromabwärts. Das habe ich gedacht. Bachforellen sind oben silbern und am Bauch rot.«
»Okay«, sagte sie.
Ganseys ausgestreckte Hand schwebte immer noch reglos über dem Wasser. »Sag mir, dass da vorhin keine roten Fische drin waren.«
Als sie keine Antwort gab, sah er zu ihr auf. Sie schüttelte den Kopf. Es waren definitiv keine roten Fische da gewesen.
Rasch zog er die Hand zurück.
Der kleine Schwarm stob auseinander und suchte Schutz, doch dieser Moment reichte Blue, um zu erkennen, dass jeder
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