Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie
Herkunft des Stücks.
Sie markierte die Seite mit einem Finger und ging mit dem Katalog zum Empfangstresen. »Ich möchte mich für eine Bekannte nach dieser Brosche erkundigen«, erklärte sie und tippte mit dem Finger auf das Foto des kaskadenförmigen Schmuckstücks. »Sie glaubt, dass sie früher ihrer Familie gehört hat und im Krieg verloren ging.«
Die Frau wirkte plötzlich nervös. »Mr. Khan ist unser Schmuckexperte, aber er ist zu einem Kunden gefahren, um eine Schätzung vorzunehmen …«
So leicht wollte Gemma sich nicht abfertigen lassen. »Könnte ich mit jemand anderem sprechen?«
»Nun ja, da wäre Miss Cahill, aber …« Ihr Blick zuckte zu Melody, und Gemma vermutete, dass sie sie für eine Anwältin hielt.
»Miss Cahill wird uns sicher weiterhelfen können.« Gemma schenkte ihr ein strahlendes Lächeln.
Die Frau zögerte. Dann runzelte sie die Stirn und griff nach einem Haustelefon. »Kristin, könnten Sie bitte mal zum Empfang kommen?«
Gemma nutzte die Wartezeit, um sich ein wenig umzusehen. An den Empfangsbereich schloss sich ein wesentlich größerer Raum an, an dessen Wänden mit Losnummern versehene moderne Gemälde hingen. In der Mitte des Raumes saßen auf bequemen Polsterstühlen rund ein Dutzend Menschen, die ab und zu gelangweilt Tafeln mit Nummern in die Höhe hielten. Der Auktionator stand auf einem Podest, und darüber war auf einem
Großbildschirm das zu versteigernde Objekt zu sehen. DerVortrag des Auktionators war genauso emotionslos wie das Gebaren der Bieter, und auf Gemma wirkte das Ganze irgendwie enttäuschend undramatisch. Sie fragte sich, wo der Schmuck war.
»Scheint nichts Sensationelles dabei zu sein«, flüsterte Melody. Eine füllige Dame in der letzten Reihe ließ ein Schnarchen vernehmen.
»Habe ich mir auch schon gedacht.«
Eine Seitentür ging auf, und eine junge Frau kam mit besorgter Miene auf den Empfangsschalter zu. Sie war gertenschlank, ihr kurzes schwarzes Haar lag dicht am Kopf an, und in ihrer makellosen weißen Bluse und dem engen schwarzen Rock sah sie aus, als käme sie geradewegs vom Laufsteg. »Mrs. March?«, sagte sie, während ihr Blick von der Empfangsdame zu Gemma und Melody ging.
»Die beiden Damen haben ein paar Fragen zu einem Stück aus dem Schmuckkatalog. Ich habe ihnen gesagt, dass Mr. Khan nicht im Haus ist.« Mrs. March hatte, wie Gemma fand, ihre Missbilligung deutlich genug zum Ausdruck gebracht, und nun wandte sie sich wieder dem Sortieren ihrer Broschüren zu.
Die junge Frau sah sich um, als erwartete sie, dass von irgendwoher Hilfe käme. Nach einem letzten Blick in den Raum, wo die Auktion immer noch andauerte, deutete sie auf die Tür, durch die sie gekommen war. »Ich bin Kristin Cahill«, sagte sie über die Schulter. »Ich weiß nicht genau, ob ich Ihnen helfen kann, aber am besten kommen Sie mit in mein Büro.« Sie sah aus, als könnte sie noch nicht lange mit dem Studium fertig sein.
»Wir werden Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen«, sagte Gemma in der Hoffnung, sie zu beschwichtigen.
Kristin Cahill führte sie durch einen anderen Ausstellungsraum, wo Mitarbeiter in Jeans und Turnschuhen damit beschäftigt waren, Möbel aufzustellen und mit Etiketten zu versehen,
und weiter in ein kleines Büro mit zwei klobigen Schreibtischen, die von Papieren, Broschüren und Katalogen überquollen. Kristin kommentierte das Fehlen von Sitzgelegenheiten mit einem Achselzucken. »Normalerweise spricht Mr. Khan im Ausstellungsraum mit den Kunden …«
»Wir sind keine Kundinnen. Es geht eigentlich nur um Folgendes.« Gemma hielt den aufgeschlagenen Katalog hoch. »Ich habe da eine Bekannte. Jakob Goldshtein, der dieses Stück angefertigt hat, war ihr Vater. Ihr Name ist Erika Rosenthal. Sie sagt, die Brosche sei bei ihrer Flucht aus Deutschland kurz vor dem Krieg verloren gegangen und sie habe nichts über ihren Verbleib gewusst, bis sie Ihren Katalog sah. Es ist keine Herkunft angegeben. Können Sie uns sagen, wo …«
Kristin schüttelte bereits den Kopf. »O nein. Mr. Khan sagte, es sei keine Herkunftsangabe erforderlich. Das Stück trägt Jakob Goldshteins Signatur, und seine Arbeiten haben sich in den letzten zwanzig Jahren zu begehrten Sammlerstücken entwickelt …«
»Aber Sie müssen doch wohl wissen, wo Sie das Stück herhaben«, unterbrach Gemma sie, obwohl sie aus dem Augenwinkel mitbekam, wie Melody unauffällig den Kopf schüttelte.
»So einfach ist es nie«, erwiderte Kristin. »Bei Antiquitäten haben wir
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