Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie
kannst du mit Harry allein ausmachen.« Sie stellte ihr Glas ab, das sich auf wundersame Weise geleert hatte. »Was mich betrifft – ich kenne weder dich noch Harry, und ich habe diese Brosche im guten Glauben angenommen. Und wenn sie verkauft wird, kannst du meine verdammten vier Prozent behalten.«
Sie stand auf, und alles begann sich um sie zu drehen, als der Alkohol ihr zu Kopf stieg. Der Rhythmus der Samba, die der DJ aufgelegt hatte, schien alles zu durchdringen. Sie stützte sich mit einer Hand an der Rückenlehne der Bank ab, beugte sich vor und küsste Dom ganz leicht auf die Wange. »Ciao, Dom. Leb wohl.«
Als sie draußen auf dem Gehsteig stand, blickte sie sich noch einmal um, doch er war ihr nicht gefolgt, und sie wusste nicht, ob sie erleichtert oder verzweifelt sein sollte.
Rasch bog sie um die Ecke in die Kensington Church Street
ein und begann Richtung Süden zu gehen, und als ein 49er Bus vorbeikam, stieg sie ein. Die Linie führte durch South Kensington, und sie hatte plötzlich das Bedürfnis, die vertrauten Museen zu sehen und am Auktionshaus vorbeizufahren. Es war alles, was ihr geblieben war, sagte sie sich.
Doch als der Bus an der Old Brompton Road vorbeirumpelte, blieb sie sitzen und widerstand dem Impuls, auszusteigen und einen Blick in die Schaufenster zu werfen. Khan würde sie mit Sicherheit auf der Stelle feuern, wenn er dahinterkäme, dass mit der Brosche etwas nicht ganz sauber war, und dann stünde sie endgültig mit leeren Händen da.
Erst als der Bus sich der King’s Road näherte, fiel ihr auf, dass Dom es sich mit dem Verkauf schon anders überlegt hatte, bevor sie ihm von der Polizei erzählt hatte. Immer noch in Gedanken versunken, stieg sie aus und ging langsam in Richtung World’s End. Die Straße war menschenleer, das Pub dunkel – sie hatte gar nicht bemerkt, dass es schon so spät war.
An der Ampel wartete sie und zog sich fröstelnd die Strickjacke um den Hals, während sie sich überlegte, was sie Khan eigentlich erzählen sollte, falls Harry Pevensey die Brosche tatsächlich von der Auktion zurückzog. Khan würde sie dafür verantwortlich machen, und sie würde so richtig Ärger bekommen. Sie war plötzlich hundemüde, und ihr war auch ein wenig schwindlig – wahrscheinlich die Strafe für den Alkohol, den sie auf fast leeren Magen getrunken hatte.
Die Ampel wurde grün. Als Kristin auf die Fahrbahn trat, hörte sie das schrille Kreischen von Reifen auf Asphalt. Sie drehte den Kopf in die Richtung und sah ein verschwommenes Etwas auf sich zukommen, und sie glaubte merkwürdige Lichtreflexe auf einer glatten Metallfläche zu sehen.
Ihr Gehirn sendete Fluchtsignale an ihren Körper – zu spät. Und im Moment des Aufpralls spürte sie nicht das Geringste.
7
1940
An Bord der Excambion, 13. Dezember, Mitternacht
Es war eine lange Zeit, doch für mich persönlich waren es glückliche Jahre und für alle Menschen in Europa Jahre voller Sinn und Hoffnung – bis der Krieg kam, und die Nazi-Pest, und der Hass, und der Betrug, und das staatlich verordnete Verbrechen, und der Mord, und das Massaker, und die unglaubliche Intoleranz, und all das Leid, und der Hunger, und die Kälte, und der Donner einer Bombe, die die Menschen eines Hauses in Stücke reißt, und der Donner aller Bomben, die die Hoffnung und Würde des Menschen zunichtemachen.
William L. Shirer, Berlin Diary:The Journal of a Foreign Correspondent, 1934-1941
Kit lag wach und sah zu, wie die Ziffern auf seinem Radiowecker umsprangen. Eine Minute, bevor der Wecker losgehen sollte, streckte er die Hand aus und drückte auf den Knopf. Tess lag vor der Tür auf dem Boden und warf ihm vorwurfsvolle Blicke zu. In der Nacht hatte er sich so lange hin und her gewälzt, bis er sie aus dem Bett geschubst hatte, und jetzt war sie beleidigt.
»Komm her, Mädel.« Er klopfte auf die Matratze. Tess stand auf, und nachdem sie sich in ihrer typischen Weise gestreckt und geschüttelt hatte, tappte sie zum Bett und sprang hinauf, allerdings
ohne große Begeisterung. Offenbar hatte sie Kit noch nicht ganz verziehen. Er drehte sich auf den Rücken und hob ihren drahtigen kleinen Körper auf seine Brust, wofür sie sich bedankte, indem sie ihm das Kinn ableckte. »Na, das ist doch schon viel besser«, meinte er und kraulte sie hinter den Ohren.
Obwohl er schlecht geschlafen hatte, mochte er noch nicht aufstehen. Er war mit Wut im Bauch ins Bett gegangen, und es hatte auch nicht geholfen, dass er sich wieder und
Weitere Kostenlose Bücher